Aline Rotter Focken
Vom Ehemann gibt’s blaue Flecken für die Ex-Weltmeisterin
22. Juni 2020
Aline Rotter-Focken, Ringer-Weltmeisterin von 2014, darf nur mit ihrem Mann Jan auf die Matte.
Viele Sportarten haben den normalen Trainingsbetrieb wieder aufgenommen. Für die Kontaktsportarten wie Ringen, Judo oder Taekwondo gilt dies jedoch nicht. Training mit einem Partner oder einer Partnerin im Zweikampf ist aktuell noch immer ausgeschlossen. Dies gilt jedoch nicht für Aline Rotter-Focken. Die Weltmeisterin von 2014 kann mit ihrem Mann Jan, langjähriger Ringer der deutschen Nationalmannschaft auf die Matte gehen und muss sich hierbei selbstverständlich nicht an die Abstandsregeln halten. Ein Glücksfall für die Ringerin des KSV Germania Krefeld, die nach ihrer Hochzeit im Sommer 2018 nach Triberg im Schwarzwald gezogen ist. Der eine oder andere blaue Fleck bleibt hierbei nicht aus.
Ein Interview von Jens Zimmermann, 24passion GmbH.
Wie verlief Deine persönliche Corona-Odyssee in den letzten Wochen? Wie bist Du mit der Situation bisher umgegangen?
Für mich hat sich selbstverständlich auch einiges geändert. Dadurch, dass mein Arbeitgeber in Kurzarbeit gegangen ist, habe ich auch weniger gearbeitet. Zusätzlich waren die Olympia-Stützpunkte und die Sporthallen geschlossen. Ein normales Training war nicht mehr möglich. Dadurch, dass meine Schwiegermutter ein Fitnessstudio hat, konnte ich dort auf einer geliehenen Ringermatte trainieren. Trotzdem hatte ich auch einfach mal Zeit, was nicht schlecht war. So konnte ich mal runterkommen und mich auf andere Dinge konzentrieren, die man sonst im Stress nur kaum erledigt bekommt.
Was macht das mit einer Spitzensportlerin, die im Februar von der Europameisterschaft in Rom mit einer Bronze-Medaille heimkehrt, sich auf die Olympischen Spiele fokussiert und man dann gezwungen ist, erst einmal vom Gas zu gehen?
Der Zeitpunkt war total komisch. Kurz nach der EM war ich eigentlich schon wieder voll fokussiert und in Vorbereitung für die Olympischen Spiele und auf einmal befindet man sich in der längsten Pause seines Athletenlebens. Ich muss aber sagen, dass ich gemerkt habe, dass mein Körper und gerade auch mein Geist eine Verschnaufpause gebraucht haben. Im Endeffekt hat es mir jetzt nicht geschadet. Ein ganzes Jahr sich länger vorzubereiten ist sicher eine Umstellung, aber auf der anderen kann ich diese Zeit nutzen, um noch besser und fitter zu werden.
„Da bleiben blaue Flecken eben nicht aus.“
Du kannst glücklicherweise deinen Ehemann Jan, viele Jahre selbst Ringer der Nationalmannschaft, als Sparringspartner einbinden. Hat er schon viele blaue Flecken davongetragen und wie gestalten sich die Trainingseinheiten mit ihm?
Eher habe ich ein paar blaue Flecken davongetragen. Jan hat ursprünglich ja eine andere Stilart. Er griechisch-römisch und ich im Freistil, da sind die Unterschiede schon extrem, insbesondere was die Belastungen und Bewegungen angeht. Er hat das in der kurzen Zeit aber sehr gut gemacht und er musste wirklich richtig gegenhalten. Ich habe auch öfters an ihm rumgemeckert, aber wir haben das gut hinbekommen, uns schnell eingespielt. Wir konnten auch ein, zwei Techniken nochmal deutlich verbessern, die noch nicht so gut bei mir waren. Das ein oder andere Mal gab es aber auch einen Unfall und wir sind unglücklich aneinandergestoßen, weil er nicht so reagiert hat, wie es ein Freistil-Ringer machen würde. Da bleiben blaue Flecken eben nicht aus.
Du arbeitest neben dem Training auch in Deinem erlernten Beruf als Sporttherapeutin. Hier kommst Du auch mit Menschen direkt in Kontakt. Schwingt da nicht die Angst mit, dass man sich infiziert und man dann wochenlang ausfällt?
Mittlerweile ist es so, dass ich Gesundheitsmanagerin in einem Unternehmen in Schonach bin und somit gar nicht mehr direkt physisch mit den Menschen arbeite. Um mich selbst hatte ich von Anfang an keine Angst. Ich hatte eher Sorgen um meine Angehörigen, gerade um meine Mama, die in einer Behinderteneinrichtung arbeitet, und somit täglich in Kontakt mit anderen Menschen ist.
Dein guter Freund und Ringerkollege Frank Stäbler teilt mit Dir das gleiche Schicksal. Ihr beide wolltet eure Karriere mit einer Medaille bei den Olympischen Spielen in diesem Sommer beenden. Dieser Traum musste nun um ein Jahr verschoben werden. Wie schwer fiel Dir die Entscheidung Deine Karriere, um ein Jahr zu verlängern?
Mir fällt es glaube ich weniger schwer als dies bei Frank der Fall ist. Ich wurde in der Vergangenheit von Verletzungen verschont, und bin auch noch etwas jünger, was per se aber nichts zu bedeuten hat. Trotzdem war das schon erst einmal ein Schock und dann hieß es auch für einen kurzen Moment, dass die Spiele ins Jahr 2022 verschoben werden sollen. Da hätte ich dann, auch aus privaten Gründen gesagt, dass ich so lange nicht mehr weitermachen will.
Als dann aber klar war, dass die Spiele „lediglich“ um ein Jahr bis 2021 verschoben werden, bin ich schnell zu dem Entschluss gekommen, dass ich das als Geschenk sehe. Gerade auch wegen der tollen Zeit mit meinen Ringermädels, meinem Team. Dadurch, dass ich erst relativ neu in einer anderen Gewichtsklasse ringe (bis 76 Kilogramm), hat mir das schon sehr in die Karten gespielt. Ich habe jetzt noch ein Jahr mehr Zeit, um mich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten.
„Die Verschiebung der Olympischen Spiele ist für mich, sportlich gesehen, ein Segen.“
Nach dem Medaillenerfolg bei der EM, wurdest Du auch als Mitfavoritin um Edelmetall für die Spiele 2020 in Tokio gehandelt. Wie siehst Du Deine Chancen aufgrund der Verschiebung um ein Jahr?
Vor der Verschiebung waren die Chancen auf jeden Fall gut. Was ich aber mit absoluter Gewissheit sagen kann ist, dass meine Chancen durch die Verschiebung noch einmal zunehmen. Dadurch, dass ich erst seit 2018 in der höchsten Gewichtsklasse ringe und hart an mir gearbeitet habe, merke ich jetzt, dass ich die Früchte meiner Arbeit ernten kann. Ich konnte in den letzten Monaten, im Gegensatz zu meinen Konkurrentinnen, sehr gut trainieren, konnte mich auch mental weiterentwickeln. Ich bin deshalb total optimistisch. Aber in unserer Sportart kann man das gar nicht so sagen, weil es auch auf die Tagesform und andere Faktoren ankommt. Es gibt sechs bis acht Weltklasseathletinnen in unserer Gewichtsklasse, die sich um die Medaillen streiten werden. Dennoch war die Verschiebung für mich, sportlich gesehen, ein Segen.
Als Weltmeisterin von 2014 bist Du auch schon zu den letzten Spielen nach Rio de Janeiro mit berechtigten Medaillenhoffnungen gefahren, dann aber im Viertelfinale ausgeschieden. Hast Du diese Olympia-Enttäuschung verarbeitet, oder belastet Dich das noch?
Ich denke schon daran zurück und spüre noch den Schmerz und die Enttäuschung, aber ich würde sagen, dass ich es schon längst verarbeitet habe. Auf der anderen Seite hat es mir auch nochmal einen riesigen Ansporn gegeben. Im Endeffekt war es nur ein Turnier in meinem Leben – zu dem Zeitpunkt selbstverständlich das wichtigste. Jetzt glaube ich, dass die Erfahrung für Tokio sehr wichtig ist, denn man muss diese Atmosphäre, die bei den Spielen herrscht, einmal miterlebt haben, und das habe ich. Ich konnte die letzten Spiele gar nicht so richtig genießen, habe mir selbst zu viel Druck gemacht. Eventuell hat das dazu beigetragen, dass ich 2016 in dieser frühen Phase scheiterte.
Worin hast Du Dich seit 2016 noch einmal deutlich verbessert, warum sollte man Dich immer auf der Rechnung haben?
Ringerisch habe ich mich noch einmal sehr weiterentwickelt und durch die neue Gewichtsklasse, in der ich nun ringe, ist die Ausgangslage eine andere. Ich kann mit meinem Normalgewicht ringen, muss keine Hungerkuren hinter mich bringen und das schont den Körper. Außerdem habe ich in den letzten Jahren viel an Erfahrung gesammelt. Klar, man hat seine Techniken und Taktiken, aber man wird auch cleverer. Außerdem habe ich nun auch die Zeit genutzt um mich mit meinem Mentaltrainer, der auch Frank Stäbler unterstützt, noch einmal psychisch weiterzuentwickeln. Zudem habe ich mir sehr viele Kämpfe von meinen Gegnerinnen angeschaut, und diese analysiert.
Du freust Dich auf die Spiele in Tokio auch ganz besonders, da das Frauenringen in Japan einen sehr hohen Stellenwert hat. Woran liegt das und siehst Du in Deutschland hierfür auch Potential?
Das glaube ich ehrlich gesagt nicht. Meiner Meinung nach gibt es kein anderes Land, indem das Ringen so wichtig ist. Es liegt auch daran, wie unglaublich erfolgreich dieses Land in unserer Sportart ist, und was ins Ringen investiert wird. In Japan gibt es in Japan rund 300 hauptamtliche Trainer nur für die Frauen, Ringerinnen werden als Werbeträger auf großen Bannern oder Werbeflächen abgebildet, wie sonst nur in den USA. Das ist einfach eine ganz andere Liga und in Deutschland leider undenkbar.
Wie sieht Deine berufliche und private Planung nach Tokio 2021 aus. Kannst du dir nach deiner aktiven Karriere auch eine Tätigkeit als Trainerin für junge Nachwuchsringerinnen vorstellen?
Auf jeden Fall, das war jetzt auch schon ein bisschen im Gespräch. Außerdem hat mir mein Arbeitgeber eine Vollzeitstelle angeboten. Vom Deutschen Ringerbund kam auch schon ein Jobanagebot. Ich fühle mich einem Luxusproblem ausgesetzt und habe somit die Qual der Wahl. In der Vergangenheit durfte ich auch manchmal kleinere Events moderieren, was mir auch sehr viel Spaß gemacht hat. Aber eigentlich war der Plan nach Tokio, mal keinen Plan zu haben. Mit Sicherheit wird Ringen immer ein Thema sein, doch nach Tokio steht vor allem auch die Familienplanung ganz oben auf der Liste. Dann aber ohne blaue Flecken von meinem Ehemann (lacht).