Martin Strobel
„Im Bus ist die Mannschaft unter sich“
08. Januar 2020
Ein Gespräch mit Martin Strobel über die Handball EM 2020, seine Absage zum Turnier und den deutschen Mannschaftsbus.
In wenigen Tagen geht die EM los. Auch wenn Du Dich dazu entschieden hast, nicht aktiv dabei zu sein. Wie sehr freust Du Dich schon auf das Turnier?
Natürlich sehr. Es ist jetzt wirklich nicht mehr lange bis zum ersten Spiel und ich freue mich auf den Start am Donnerstag. Hoffentlich wird wieder so eine große Euphorie wie bei den letzten Turnieren entfacht.
Die EM findet mit Schweden, Norwegen und Österreich in drei Ländern statt, die teilweise nicht unmittelbar nebeneinander liegen. Das bedeutet unter Umständen lange Reisen für die Teams. Wie sehr beeinflussen solche langen Reisen zwischen den Spielen die Leistung?
Das kann schon Auswirkungen haben. Ich habe schon unterschiedliche Szenarien erlebt. Beispielsweise bei der Handball WM 2015 in Katar, wo wir wirklich keine Reisen hatten und alle Mannschaften an einem Ort gespielt haben. Das war natürlich Luxus pur. Jetzt in drei Ländern ist das etwas ganz anderes. Da müssen der Transport und das ganze Drumherum super organisiert sein und problemlos laufen, damit alle Mannschaften irgendwie unter gleichen Bedingungen antreten können.
2008 bei der Europameisterschaft in Norwegen ist die deutsche Mannschaft auch mal in ein richtiges Winterchaos gekommen und im Schnee stecken geblieben. So etwas kann passieren, sollte sich aber nicht auf die Leistung auswirken. Darauf muss sich jeder selbst einstellen und die Zeit zur Regeneration extrem gut nutzen, um das Level zu halten.
„Die Fahrt zum ersten Spiel ist oft auch mit viel Vorfreude verbunden.“
Können sich lange Reisezeiten auch auf die Stimmung im Team auswirken?
Teils, teils. Manchmal tut ein Ortswechsel ganz gut. Wenn man ein paar Tage am Stück an einem Ort ist, im gleichen Hotel, dann freut man sich schon darauf, wieder was anderes zu sehen. Dadurch kommt oft auch noch eine andere Stimmung auf. Verschiedene Spielorte können also definitiv auch positive Aspekte haben.
Der Mannschaftsbus ist einer der wenigen Orte, an denen die Mannschaft vor den Kameras und Mikros der Presse geschützt ist. Wie kann man sich die Stimmung im deutschen Bus vor dem Auftaktspiel gegen die Niederlande vorstellen? Sehr angespannt oder eher locker?
Ich würde sagen, es ist ein Mix aus beidem. Man wird eine gewisse Grundanspannung. spüren. Die ist auch sehr wichtig und tut jedem gut. Hier gilt aber auch wieder, dass jeder seine eigene Mischung findet. Der eine, der ein bisschen mehr Erfahrung hat, ist vielleicht ein bisschen lockerer als derjenige, der ganz frisch dazukommt. Von der Grundstimmung denke ich aber schon, dass ein tiefer Fokus herrscht vor dem ersten Spiel. Man will gut ins Turnier starten. Die erste Fahrt ist oft auch mit viel Vorfreude verbunden.
Schwört man sich im Bus auch das erste Mal gemeinsam so richtig ein bevor es in die Halle geht?
Meistens ist man in dem Moment komplett mit der Mannschaft und dem gesamten Betreuerstab alleine unterwegs zum Spielort. Das ist ein ganz besonderes Gemeinschaftsgefühl. Da heißt für alle: jetzt geht es zur Halle, jetzt geht es los. Und wenn man an den großen Hallen ankommt und aussteigt, gibt einem das den ersten wichtigen Push.
Was wären nach dem ersten Spiel die Szenarien für die Stimmung im Bus bei Sieg, Unentschieden oder Niederlage?
Nach dem ersten Spiel wird sich das noch in Grenzen halten, da ist noch nicht viel entschieden. Wenn man gewinnt, ist eine gelöstere Stimmung. Man ist gut gestartet und alle sind zufrieden, auch wenn es sicher noch Verbesserungspotenzial gibt. Bei einem Unentschieden kommt es auf die Art des Unentschiedens an. Man ärgert sich aber wahrscheinlich so oder so, weil man als Deutsche Handballnationalmannschaft immer mit einer hohen Erwartungshaltung in ein Turnier geht. Niederlagen mag niemand gerne. Also wäre die Stimmung eher betrübt und jeder ist ein bisschen für sich. Vielleicht unterhält man sich auch kurz und redet über bestimmte Situationen. Aber wenn es nach einer Niederlage direkt in den Bus geht, hat man grundsätzlich mehr Ruhe.
„Nach dem EM-Sieg war es eine brutal losgelöste Stimmung. Ich glaube, jeder konnte es noch gar nicht so richtig realisieren.“
„Auch Deutschland zähle ich zum Favoritenkreis.“
Wie war denn die Feier nach dem EM-Sieg 2016?
Die war auch gut. Es war eine brutal losgelöste Stimmung. Ich glaube, jeder konnte es noch gar nicht so richtig realisieren. Zunächst in der Halle und in der Kabine, alle waren voller Freude. Danach ging alles sehr schnell. Zurück ins Hotel, dann ins Restaurant. Es war schön, wie wir alle in der Kabine unter uns waren und dann dieses Gemeinschaftsgefühl mit den Familien, Freunden und dem gesamten Verband genießen konnten. Danach wurde dann natürlich noch länger gefeiert.
Meinst Du zu so einer Party kommt es dieses Jahr wieder?
Das wäre schön. Ich denke, dass man trotz aller Ausfälle im Vorfeld und trotz der Schwarzmalerei, die man hier und da mitbekommt, viel erreichen kann. 2016 sind wir mit ähnlichen Voraussetzungen ins Turnier gegangen, viele Spieler waren verletzt und dann ging auch noch das erste Spiel verloren. Da dachte schon nach der Vorrunde jeder, das wird nichts mehr. Solche Rückschläge können aber brutal zusammenschweißen und eine riesige Euphorie entfachen.
Damals waren auch viele junge Spieler dabei, die den Sprung geschafft haben. Warum sollte das dieses Mal anders sein? Warum sollten nicht auch junge Spieler die Verantwortung übernehmen können? In der Bundesliga machen sie es ja auch. Und wenn wir geschlossen als Team auftreten, kann man eine Menge erreichen. Ich glaube, Deutschland sollte immer den Anspruch an das Halbfinale haben. Ab da ist dann alles möglich.
Wer sind Deine Favoriten auf den Titel?
Das sind natürlich immer Dänemark, Frankreich, Norwegen und Spanien als Titelverteidiger der EM 2018. Schweden hat auch immer ein gutes Standing und Kroatien spielt bei Turnieren immer vorne mit. Das ist immer ein großer Pool an Mannschaften mit vielen individuell guten Spielern. Auch Deutschland zähle ich dazu.
„Dass ich der extremen Turnierbelastung noch nicht wieder gewachsen bin, habe ich im Dezember gemerkt. Es war die richtige Entscheidung, abzusagen.“
Du hättest Teil des deutschen Turnierkaders sein können, hast Dich aber aufgrund Deiner Verletzung bei der WM 2019 dagegen entschieden. Wie schwer war die Entscheidung für Dich, die EM abzusagen?
Die Entscheidung fiel über einen langen Zeitraum hinweg. Es war ein Prozess über das ganze Jahr. Irgendwann kommst du an den Moment, wo du dich fragst, an welchem Punkt der Regeneration du bist, was du bis hierhin schon wieder leisten konntest und wie du dich wieder belasten kannst. Das, was mein Körper mir zurückgemeldet hat, und mein Bauchgefühl sind in meine Entscheidung eingeflossen. Ich habe zwar schon wieder gespielt und es funktioniert alles, aber ich sehe mich noch nicht in dem Status, der den wechselnden Rhythmus von einem Tag Spiel und einem Tag Pause aushält.
Bei so einem Turnier wie der EM hast du zwischen den Spielen und Reisen fast nie Pause. Das ist eine extreme Belastung für den Körper. Dass ich dem noch nicht wieder gewachsen bin, habe ich im Dezember gemerkt. Es war die richtige Entscheidung, abzusagen.
Wirst Du es etwas vermissen, das Turnier nicht bei der Mannschaft zu sein?
Bestimmte Sachen wird man schon vermissen. Ich weiß ja, wie es abends nach den Spielen oder auch tagsüber abläuft. Da erlebt man schon schöne Momente. Wenn man abends bei den Physios zusammensitzt und redet, kann man schon viel Spaß haben. Und auf dem Feld wird mir die Atmosphäre fehlen. Letztes Jahr bei der Heim-WM war es extrem, aber auch, wenn man gegen Heimmannschaften spielt, was bei drei Gastgebern ja gut vorkommen kann, ist das eine beeindruckende Stimmung in den Hallen.
„Ich bin auf keinen Fall jemand, der von acht Stunden sechs schläft. Das kann ich nicht im Bus.“
Wenn Du nicht im Kader bist – welchen Bus-Typen wird die Mannschaft jetzt im Bus vermissen? Den Martin, der immer Musik hört, den Martin, der immer Karten spielt, oder den Martin, der immer schläft?
Ich glaube, da wird es gar nicht so sehr auffallen, dass ich fehle (lacht). Ich bin im Bus immer sehr ruhig und beschäftige mich selber. Bei längeren Fahrten lese ich recht viel, habe auch Musik auf den Ohren und bin ein bisschen abgeschottet. Aber ich bin auf keinen Fall jemand, der von acht Stunden sechs schläft. Das kann ich nicht im Bus. Aber ja, ich glaube auf den ruhigen Martin müssen die Jungs im Bus leider verzichten.
Welche Typen gibt es sonst noch im deutschen Mannschaftsbus und wer gehört dazu?
Es gab mal so eine Zeit da haben Peke (Hendrik Pekeler) mit Heine (Silvio Heinevetter) und Peter Gräschus (Physiotherapeut) viel Skat gespielt – egal, wie kurz oder lang die Fahrt war. Dann gab es noch die Zeit, wo die Poker-Fraktion am Start war. Das ist aber immer weniger geworden. Teilweise wurde dann auch über Smartphones viel miteinander gespielt. Dann gibt es noch ein, zwei Leute, die Mario Kart auf der Nintendo DS gegeneinander gefahren sind. Da war Fabian Böhm immer mit dabei. Und dann gibt es auch die, die Kaffee trinken und hinten sitzen. Das sind Uwe, Patrick Groetzki und früher auch Carsten Lichtlein.
Hoffen wir, dass alle Spieler möglichst oft das tun können, was sie tun, und lange im Turnier bleiben. Wie und wo wirst Du die deutschen Spiele verfolgen?
Das kommt darauf an, wie und zu welchen Zeiten unser Training beim HBW stattfindet. Wenn ich zu Hause bin, natürlich zu Hause. Allerdings kann es auch mal sein, dass wir direkt nach dem Training noch einschalten. Sonst haben wir bestimmt auch die Möglichkeit, vor oder nach einer Einheit gemeinsam mit der Mannschaft ein Spiel zu schauen. Vielleicht werde ich auch mal eine Partie im Bus nach einem Trainingsspiel auf dem Handy schauen. Es gibt unterschiedliche Varianten. Ich werde aber definitiv versuchen, immer live dabei zu sein.