Andreas Wolff
„Dann läuft der Hase“
09. März 2020
Andreas Wolff verließ Kiel im Sommer in Richtung Kielce. Dort legte der 28-jährige Nationalspieler einen spektakulären Start vor. Sowohl sportlich als auch privat fühlt sich der neue Kapitän des polnischen Dauermeisters wohl. Ein Gespräch über Einsichten, Rollenspiele und Motivation.
Das Interview führte Zita Newerla für Handball Inside Ausgabe #30 (erschien am 19. Dezember 2019)
Wie war der Champions League-Auftakt beim THW Kiel für Dich, nur einige Wochen nach Deinem Umzug aus Norddeutschland?
Es war schon etwas Besonderes, zumal der Empfang der Fans sehr herzlich ausgefallen ist. Auch die Dramatik am Ende der Begegnung war für mich fantastisch.
Du hast mit der letzten Parade einen Punkt gerettet. Wolltest Du in gewohnter Kulisse eine besondere Leistung zeigen?
Ich versuche, in jedem Spiel eine gute Leistung zu zeigen, unabhängig davon, wer auf der anderen Seite steht. Es klappt sicherlich nicht immer. In Kiel allerdings habe ich mich gefreut, dass ich mit der letzten Aktion direkt am Punktgewinn beteiligt war. Primär zählen dennoch die Gesamtleistung meines Teams und weiterhin das Ziel, als Verein in der Champions League-Gruppe gut dastehen zu können. Die Sparkassen-Arena-Kiel gilt international als Festung, dort einen Punkt mitzunehmen, ist eine der schwierigsten Aufgaben. Wir haben es dennoch geschafft.
Ist es eine persönliche Bestätigung, wenn die Fans sich über einen ehemaligen Spieler freuen?
Auf jeden Fall. Ich habe bestimmt nicht alles richtig gemacht, aber ich habe in Kiel sportlich immer mein Bestes gegeben und es hat mich sehr gefreut, dass viele Fans das auch so sehen.
„Was gerade in Kiel passiert, hat Hand und Fuß.“
Was, meinst Du, hättest Du anders machen müssen?
Ich denke, dass ich meine Differenzen mit Thorsten Storm nicht hätte publik machen sollen. Die Persönlichkeit des Ex-Managers ist hinreichend bekannt, ich hätte die Sache nicht so breittreten sollen. Vielleicht hätte man die Angelegenheit besser hinter verschlossenen Türen geregelt. Im Nachhinein weiß ich, dass man die Details nicht in die Öffentlichkeit hätte tragen sollen. Das Geschehene wurde der Professionalität, mit der der Verein normalerweise in der Öffentlichkeit auftritt, und dem tollen THW-Umfeld am Ende einfach nicht gerecht.
Die aktuelle Führung soll Deine Entscheidung, den Verein zu verlassen, sehr bedauert haben.
Ich habe schon in meiner Abschiedsrede gesagt, wie froh ich darüber bin, dass das, was den THW über Jahrzehnte ausgezeichnet hat, mit der neuen sportlichen Führung wieder nach Kiel zurückgekehrt ist: der Siegeswille, die Professionalität und die hundertprozentige Identifikation mit Leistungsbereitschaft. Filip Jicha und Viktor Szilágyi haben mich mit ihrer Einstellung und ihrer Arbeit schwer beeindruckt. Das, was mein Ex-Verein aktuell spielt, trägt ihre Handschrift. Und was gerade in Kiel passiert, hat Hand und Fuß. Ich muss an der Stelle selbstverständlich auch den Torwarttrainer Mattias Andersson nennen. Dass die Mannschaft gerade so stark auftreten kann, ist eindeutig die Arbeit von den Drei, die den THW wieder dahin gebracht haben, wo der Rekordmeister auch hingehört. Die Zebras sind wieder an der Spitze und auch bei der Frage der Meisterschaft führt kein Weg an dem THW vorbei.
Das klingt fast wie eine Liebeserklärung. Eine Zeit lang hörtest Du Dich in Interviews eher enttäuscht und wütend an. Hat die Ära THW inzwischen den richtigen Platz in Deinem Kopf und im Herzen bekommen?
Ja, das sehe ich so. Das letzte Jahr für mich war sehr schön. Ich habe endlich erleben dürfen, wie das THW-Gefühl auch sein kann.
„Ich bin kein Freund von einer zu großen Harmonie.“
Könnte es sein, dass Du Dich irgendwann wieder den Zebras anschließt?
Das weiß ich nicht. Aktuell habe ich in Kielce einen Vertrag und auch hier eine überragende Mannschaft, ein super Umfeld und einen Top-Trainer. Ob ich irgendwann wieder den Wunsch verspüre, in Deutschland zu spielen, wird sich zeigen. Es ist jedem klar, dass die Liga am attraktivsten ist, und es ist auch kein Geheimnis, dass der THW der beste Club in Deutschland ist. Wenn meine Leistung passt und in Kiel ein Platz auf der Position frei ist, dann würde ich darüber sicherlich nachdenken. Doch aktuell freue ich mich, in Kielce zu sein, und hoffe, dass ich hier mit meiner Arbeit zu einer Erfolgsgeschichte beitragen kann.
Sieht man Dein Team in Köln?
Ich denke, wenn ein Team in der Lage ist, in Kiel einen Punkt mitzunehmen und Veszprém zu schlagen, dann kann man ruhig seinen Anspruch auf die Teilnahme am VELUX EHF FINAL4 anmelden.
Vereine wie Kielce, Veszprém und Vardar haben in der öffentlichen Wahrnehmung ein raueres Image als beispielsweise skandinavische Clubs. Ist das etwas, was auch Deiner Mentalität entspricht?
Ich bin kein Freund von einer zu großen Harmonie und denke nicht, dass sich immer alle liebhaben müssen. Diese osteuropäischen Vereine waren mir immer sympathisch. Auch in Kielce kann es auch gerne mal ein wenig härter oder rauer zugehen. Nach 60 Minuten sitzen wir dann in der Kabine zusammen und die Welt ist wieder in bester Ordnung. Das erlebe ich gerade tagtäglich so und das mag ich, denn das macht attraktiven Handball aus.
War Dein Start in Polen auch außerhalb der Halle so entspannt? Wie hast Du den Umzug gemanagt?
Ich hatte Glück. Der Verein hat mir in jeder Lebenslage Hilfe angeboten. Ein Geschäftsführer des Clubs kommt aus Deutschland, eine weitere Mitarbeiterin spricht sehr gut Deutsch und man kann sich hier auch hervorragend auf Englisch verständigen.
… und Dein Polnisch?
Seit dem Sommer nehme ich Unterricht, wobei Frequenz und Intensität der Sprachstunden immer auch davon abhängen, was bei dem Team sportlich ansteht. Ich verstehe inzwischen recht viel, würde aber nicht behaupten, dass ich unfallfrei Polnisch sprechen kann.
Ausländische Legionäre beklagen oft, dass die deutsche Sprache nicht vielfältig genug im Bereich der Schimpfwörter sei. In Polen sei das anders. Kannst Du das bestätigen?
Dafür bin ich zu gut erzogen (lacht). Aber ich habe oft genug mit ausländischen Spielern zusammengespielt, die diese Vielfalt oft und gerne demonstriert haben.
Haben es Keeper einfacher, den sportlichen Zugang zu einem Team zu finden, als Rückraumspieler beispielsweise?
Grundsätzlich stimmt das, denn dein Torwartspiel bleibt gleich, egal, wo du unter Vertrag stehst. Als Rückraumspieler spielst und bleibst du in einem festen System. Auf dem Feld tust du genau das, was vorher besprochen wurde. Als Torwart musst du lediglich in der Lage sein, zu erraten, was gleich passiert.
Wie ist DeineZusammenarbeit mit Talant Dujshebaev?
Was mir an ihm richtig imponiert, ist die Energie, die er in seine Arbeit steckt. Es ist einfach bewundernswert, mit welcher Leidenschaft er immer dabei ist. Talant hat für die Mannschaft eine Philosophie und gleichzeitig für jeden Spieler immer eine Idee. Sein taktisches Verständnis für das Spiel ist meiner Meinung nach einzigartig im Handball. Zudem
spricht unser Coach sieben oder acht Sprachen, glücklicherweise ist Deutsch auch dabei.
Spricht er auf Deutsch mit Dir?
In Kielce wird viel Wert darauf gelegt, dass die Teamsprache polnisch ist. Allerdings ist die hürdenlose Kommunikation nicht für jeden von Anfang an möglich, bei dringlichen Gesprächen und neun Nationalitäten im Team wechselt unser Trainer auch mal die Sprache.
Von Fans geliebt – von Gegnern gefürchtet: der Paradenschrei von Andreas Wolff.
Du wurdest von dem Trainer gleich zu Anfang zum Kapitän ernannt.
Ich freue mich darüber und versuche, dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Warst Du schon mal Kapitän?
Das war ich noch nie – nicht einmal in einer Jugendmannschaft.
Kämpft man als Torwart auch gerne für das Kollektiv?
Das Wohl der Mannschaft ist die oberste Priorität eines Kapitäns. Talant hat mir sein Vertrauen ausgesprochen und ich gebe mein Bestes.
Die Aufgabe des Spielführers wird überall anders definiert. Flensburgs Vorzeigekapitän Tobias Karlsson hat beispielsweise bei den Neuzugängen auch mal die Waschmaschine angeschlossen …
Das musste ich noch nicht. Meine Aufgaben außerhalb des Spielbetriebes sind überschaubar. Wenn ich sehe, womit sich andere Kapitäne beschäftigen, dann habe ich hier wirklich
Glück. Natürlich würde auch ich bei Bedarf versuchen, eine Waschmaschine anzuschließen – wenn ich das nur könnte (lacht). Ich hoffe für alle Beteiligten, dass es in der nahen Zukunft nicht von mir verlangt wird.
Ist die neue Rolle auch eine zusätzliche Motivation, die Sprache zu lernen?
Natürlich. Zumal mein Amt hauptsächlich kommunikative Aufgaben umfasst.
Bekommst Du aktuell von Fans und Verein die nötige Wertschätzung, die Du brauchst, um richtig gut zu sein?
Das finde ich schon. Das Wichtigste ist, dass mir der Trainer und das Team vertrauen. Aber auch unsere Fans sind Weltklasse. Sie reisen zu jedem Spiel und feiern alle Akteure der Mannschaft einzeln – das ist überragend. Ich bin in Kielce sehr glücklich.
„Das Wohl der Mannschaft ist die oberste Priorität eines Kapitäns.“
Was brauchst Du genau, um konstant Höchstleistung zeigen zu können?
Meinem Torwartspiel hilft sicherlich auch die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Bundesliga-Profi Slawomir Szmal. Doch allgemein würde ich sagen: Wenn Team und Trainer
mir vertrauen, dann läuft der Hase.
Polen ist ein großes Land. Wie weit ist die weiteste Auswärtsreise?
Eine Reise kann auch schon mal mit dem Bus bis zu acht Stunden hin und weitere acht Stunden zurück dauern. Allerdings übernachten wir bei den Ligaspielen nie auswärts, was
ich sehr begrüße. Wenn man in der Lage ist, einen Gegner mit bis zu 15 Toren zu besiegen, ist die Anreise am Vortag sportlich nicht notwendig und finanziell nicht vertretbar.
Bist Du mit Deiner Freundin nach Polen gezogen?
Genau. Sie ist auch der Grund, warum mir die Zeit zu Hause so wertvoll ist.
Wie präsent ist für Dich die EURO 20 schon?
Während der Nationalmannschaftswoche war das Großturnier schon sehr präsent. Langsam fangen wir alle an, darüber nachzudenken, und freuen uns, für das Team spielen zu
können. Bis zur Nominierung werden wir alle unsere Top-Leistung bringen und jeder von uns ist glücklich, wenn er seinen Namen dann im Kader liest.
Wie sich ein EM-Sieg anfühlt, weißt Du bereits. Was ist diesmal für Deutschland drin?
Unser Ziel sollte auf jeden Fall das Halbfinale sein. Obwohl jede Europameisterschaft stark besetzt ist, haben wir dazu durchaus das Potenzial. Das haben wir auch im Januar 2019 gesehen. Alles, was nach dem Halbfinale passiert, ist eine Frage der jeweiligen Tagesform. Wenn du einen guten Tag erwischst, dann gewinnst du das Halbfinale und vielleicht sogar das Turnier. Wenn du an dem Tag nicht zu deiner Leistung findest, kannst du auch ohne Medaille nach Hause fahren.
… und wenn jeder einen guten Tag hat?
Wenn wir es schaffen, einen so guten Flow zu generieren, dass wir alle auf Top-Niveau spielen, dann können wir das Turnier auch gewinnen.
Welche Rolle spielt bei der Leistung die Auswahl des Zimmerkollegen?
Während eines Turniers verbringst du unglaublich viel Zeit mit deinem Zimmerpartner, so schadet es nicht, wenn man sich gut versteht. Ich bin seit Jahren mit Jannik Kohlbacher
auf dem Zimmer. Er ist ein guter Freund, der auch mal eine mentale Stütze sein kann, wenn es nicht wie gewünscht auf der Platte läuft. Er ist ein fantastischer Spieler und auch ein
guter Provokateur, wenn ich mal ein bisschen ruhiger bin. Jannik ist der perfekte Zimmerkollege.
Wo hört Eure Freundschaft auf?
Beim Fischen (lacht). Angeln ist Kohlis Leidenschaft und ich habe definitiv andere Hobbys, als unschuldige Wesen bei ihrem Tagesablauf zu stören. Außerdem würde er mich auch niemals zum Fischen mitnehmen. Vier Stunden wortlos am Wasser zu sitzen, ist so gar nicht meins.