Uwe Gensheimer
„Kein schönes Bild, wenn die Zuschauer fehlen!“
13. Oktober 2020
Uwe Gensheimer kann den Start der Saison kaum erwarten, auch wenn es dieses Mal etwas anders vonstattengeht. Der Kapitän hat in den vergangenen Wochen viele Gespräche mit anderen Profis über die aktuelle Situation geführt – und dabei auch etwas über sich gelernt.
Das Interview führte Zita Newerla für Handball Inside Ausgabe #34 (erschien am 23. September 2020)
Du hast vor einigen Wochen in Deiner HI-Kolumne erzählt, dass Du zwischendurch die plötzliche Ruhe schon auch genießt. Ab wann geht einem die Ruhe auf den Geist?
Nach drei, vier Wochen würde ich sagen (lacht). Danach kommt eine ziemlich komische Phase, denn du hast keine Ahnung, für wann du genau trainierst. In der Situation fällt es keinem Mannschaftssportler leicht, die Motivation zu finden. Als es endlich absehbar war, wann und wie es mit dem Handball weitergeht, kam die Lust schnell wieder. Ich habe mich selten so sehr über die Trainingspläne gefreut, wie in der Situation.
Was nimmst Du für Dich persönlich mit aus dieser handballerischen Zwangspause?
Ich habe für mich das Hamsterrad der letzten Jahre reflektiert und festgestellt, dass ich diese Ziele, die man im Team immer wieder vorgegeben und angesagt bekommt, auch benötige, um mich zu motivieren. Als Mannschaftssportler bist du selten allein. Während der Pandemiebedingten Isolation habe ich gespürt, wie sehr ich die Kraft der Gruppe für mich persönlich brauche.
Wie hast Du die Herausforderungen des Alltags mit Deinem kleinen Sohn und einer berufstätigen Ehefrau in dieser besonderen Situation gemeistert?
Sandra hat in ihrem Homeoffice auch mehrere Videokonferenzen am Tag. In der Zeit habe ich versucht, Matti außerhalb der Wohnung sinnvoll zu beschäftigen, damit unser Sohnemann nicht andauernd durch das Bild rennt oder plötzlich etwas Wichtiges von seiner Mama wissen will. Irgendwann haben wir angefangen, uns im kleinen Kreis zu verabreden, damit zumindest etwas Abwechslung in unserem Alltag da ist und kein Lagerkoller innerhalb meiner kleinen Familie aufkommt. So schön es für Kinder auch ist, die Eltern andauernd um sich zu haben, auch die müssen mal andere Gesichter sehen.
Und wie war der Sommerurlaub?
Eigentlich wollten wir einen Road-Trip durch Italien machen, doch dann haben wir komplett die Pläne geändert und waren zunächst einige Tage im Allgäu. Unser Urlaub endete am Bodensee, wo wir Freunde besucht haben. Zwischendurch waren wir auch noch in Portugal. Es war ein anderer Sommer als ursprünglich geplant, doch wir haben das Beste daraus gemacht und nichts vermisst, was wir nicht irgendwann nachholen könnten. Ab und zu hat man sogar vergessen, dass es besondere Zeiten sind. Nur die Maskenpflicht beim Frühstücksbüffet hat einen immer wieder daran erinnert.
Kann man sich Ihrer Meinung nach an so eine Mund-Nasen-Schutzmaske gewöhnen?
Ich hoffe sehr, dass wir das auf lange Sicht nicht müssen. Bei einem halb verdeckten Gesicht geht so viel verloren. Ich vermisse besonders das Lächeln.
„Wir hatten große Ziele, jetzt stehen diese Ziele für 2021.“
Hast Du Dir trotzdem schon eine Sammlung an Masken angelegt?
Na klar, inzwischen liegen die überall griffbereit rum, im Haus, in den Taschen oder im Auto.
Mussten bei Dir größere Feste oder Familienfeiern abgesagt oder verschoben werden?
Die Geburtstage von meiner Frau Sandra und unserem Sohn Matti sind dieses Jahr etwas kleiner ausgefallen. Es war trotzdem nach der Zeit im Frühjahr einfach schön, Freunde und Familie endlich wiedersehen, treffen und umarmen zu können. Auch bei den Geschenken musste man kreativer sein, denn eine Reise, Konzertkarten oder ein Ausflug als Überraschung stand ja nicht unbedingt zur Debatte.
Musstest Du im August auch mal an Tokio denken?
Sicherlich. Auch wenn wir uns für die Olympischen Spiele zunächst erst hätten qualifizieren müssen. Wir hatten große Ziele, jetzt stehen diese Ziele für 2021.
Werden die Olympischen Spiele in der Zukunft eine andere Art von Veranstaltung – womöglich eine Online-Show?
Das muss man erstmal abwarten. In einigen Teilen der Welt wütet das Virus noch. Ich denke, dass wir aktuell noch nicht einschätzen können, wie Corona die Welt des Sports für die Zukunft verändert.
Der Bundestrainer soll das Länderspiel in Düsseldorf im November schon als „Silberstreif am Horizont“ sehen…
Da kann ich ihn absolut verstehen. Ich schiele allerdings schon auf Oktober und freue mich mit dem Team und den Fans nach so einer langen Zeit der Abstinenz auf die ersten Punktspiele in der Liga.
Glaubst Du, dass 2.000 Menschen, verteilt in einer Halle wie dem ISS Dome, genauso viel Stimmung machen können, wie eine volle Kulisse mit knapp 12.000 Zuschauern?
Das glaube ich nicht. Aber wir werden das hoffentlich sehen und können gerne im Anschluss nochmal darüber sprechen.
Es gab zwischendurch Stimmen aus Kiel und Flensburg, die eine weitere Verschiebung der Saison und die Absage der Weltmeisterschaft fordern.
Geisterspiele sind sicherlich nicht die optimale Kulisse für unsere Sportart, die natürlich auch von den Emotionen der Zuschauer lebt. Wir spielen nicht nur gegen die gegnerische Mannschaft, wir spielen auch mit und für unser Publikum, und im Optimalfall peitschen sich so die Tribüne und die Spieler auf der Platte gegenseitig auf. Auch dafür lieben wir den Handball. Doch eine weitere Verschiebung des Saisonstarts halte ich bei jetzt 20 Bundesligateams, europäischen Wettbewerben und einer Olympiaqualifikation, die noch ausgespielt werden muss, alleine schon organisatorisch für unmöglich.
Wurden die Spieler von der HBL oder vom DHB um ihre Meinung gebeten?
Wir haben hauptsächlich einen regen Austausch im eigenen Club gepflegt, sicherlich auch durch die besondere Situation, dass wir viele positive Fälle innerhalb des Teams hatten und inzwischen meinen, beurteilen zu können, was das Virus mit uns körperlich macht. Wir haben sicherlich Respekt, aber keine Angst. In der Vorbereitung haben wir den üblichen Herz- und Lungenfunktionstest gemacht und bei den Spielern, die sich mit Covid-19 angesteckt hatten, sind glücklicherweise keine sichtbaren Unregelmäßigkeiten oder Anomalitäten aufgetreten.
Schaust Du aktuell Fußball?
Ja, das tue ich. Es ist kein schönes Bild, wenn die Zuschauer fehlen. Bei den Übertragungen ist es allerdings ganz cool, zu sehen, wie laut da teilweise rumgebrüllt wird und wer im Team überhaupt welche Kommandos gibt. Es ist sehr interessant, das mal so mitzukriegen.
Könnte Handball sich da etwas bei der Übertragung abgucken?
Dafür sind zu viele Welten zwischen diesen Sportarten…
Du löst als neuer Kapitän der Rhein-Neckar Löwen das Führungs-Dreierteam ab. Sind die Zeiten der Aufgabenteilung vorbei?
Ob im Club oder in der Nationalmannschaft: Du bist als Kapitän mit den Aufgaben nie allein. Es gibt mehrere erfahrene Führungsspieler, die dich und das Team tatkräftig unterstützen und daran mitwirken, dass der Kern der Mannschaft in die richtige Richtung arbeitet.
Weißt Du überhaupt noch, wann Du das erste Mal die Kapitänsbinde getragen hast?
Darüber habe ich in der letzten Zeit auch nachgedacht und kam auf kein eindeutiges Ergebnis. In der Nationalmannschaft war es auf jeden Fall Martin Heuberger, der mir zuerst dieses Amt anvertraute. Das muss irgendwann in 2014 gewesen sein.
Deine Teamkollegen aus der Nationalmannschaft sollen besonders DeineKommunikationsstärke schätzen.
Wir haben wirklich einen regen Austausch, der oft von mir initiiert ist. Ich schätze, das was andere Kommunikationsstärke nennen, könnte man auch als Neugierde bezeichnen (lacht). Ich tausche mich sehr gerne aus.
„Eine Krise lässt die Menschen nicht nur zusammenrücken, sie macht auch kreativ.“
Aber oft sucht man bei Dir auch Rat. Wie sah die Kommunikation in den letzten Monaten diesbezüglich aus?
Ich habe sicherlich auch viel mit Spielern aus den anderen Mannschaften gesprochen, die unter anderem natürlich wissen wollten, wie unser Verein mit den Herausforderungen in der aktuellen Situation umgeht. Jeder Verein trifft individuelle Absprachen mit den Spielern und findet maßgeschneiderte Wege mit den Sponsoren. Man kann nur schwer den Ansatz eines THW Kiel, der in der Saison ca. 10.000 Dauerkarten verkauft, mit der Lage bei den kleineren Clubs und einem ganz anders gestaffelten Etat vergleichen. Dennoch haben wir im Grunde genommen alle derzeit die gleichen Probleme und stehen vor vergleichbaren Herausforderungen.
Hilft dieser intensive Austausch, die aktuelle Unsicherheit bei den Beteiligten zu beseitigen?
Er hilft zumindest, die Sachen besser einschätzen zu können. Wir sind sicherlich keine Wirtschaftsprüfer oder Buchhalter, aber wenn man den Arbeitnehmern offen und ehrlich darlegt, wo am Ende vielleicht Geld fehlt, hat jeder Mensch, und damit auch ein Spieler, ein anderes Verständnis für bestimmte Entscheidungen. Wir haben das große Glück, dass der Verein der Rhein-Neckar Löwen sehr transparent agiert und auch die Zahlen offengelegt hat, damit wirklich jeder verstehen konnte, was beispielsweise passiert, wenn die Einnahmen aus fünf Heimspielen fehlen.
Ist Transparenz das Zauberwort des harmonischen Miteinanders?
Wenn die Verantwortlichen im Verein offen auftreten, trifft das bei jedem von uns auf Verständnis. Wir sind zwar Angestellte, die einen Arbeitsvertrag auf Zeit unterschrieben und damit theoretisch zu 100 Prozent Anspruch auf ihr Gehalt haben. Doch wir wollen natürlich auch, dass es den Verein als unseren Arbeitgeber auch nach der Pandemie noch gibt, und machen selbstverständlich Zugeständnisse.
Bei den Spielergehältern gibt es ein großes Gefälle. Sind pauschale Prozentregelungen gerecht?
Meines Wissens wird in den meisten Fällen von den Clubs darauf geachtet, dass niemand in eine finanzielle Schieflage gerät. Wenn jemand auf Geld verzichten muss, ist es immer eine blöde Sache. Allerdings müssen wir jetzt zusammen das Beste daraus machen und ich finde auch, dass wir das mit den Rhein-Neckar Löwen bisher alle gemeinsam sehr gut lösen.
Das klingt so, als ob auch ein ganz großes Verständnis für das Management oder gar ein neues Löwen-Wir-Gefühl entstanden wäre.
Wir sitzen alle in einem Boot und das empfinden wir alle auch so. Wenn du plötzlich Zeit hast, dann hast du auch freie Kapazitäten. Wir Spieler haben uns überlegt, was wir als Mehrwert außerhalb der Halle für die Sponsoren anbieten oder was wir noch übernehmen können. Da wurden gleich mehrere Aktionen erfolgreich umgesetzt, die, ohne die Corona-Pause, allein schon aus Zeitgründen so nicht hätten realisiert werden können.
Hast Du ein Beispiel dafür?
Da muss ich unsere Quiz-Runde über die Social-Media-Kanäle erwähnen, die an unseren Spieltagen stattgefunden hat, Aktionen für die Tafel e.V. oder die Online-Fitnesskurse, die den Handballfans mit Unterstützung eines Löwen-Sponsors angeboten wurden. Eine Krise lässt die Menschen nicht nur zusammenrücken, sie macht auch kreativ.
Hattest Du zwischendurch auch mit Spielern anderer Sportarten zu tun?
Natürlich, und die Gespräche hatten einen ähnlichen Verlauf. Ob Fußballer oder Basketballer, unterm Strich ist jeder froh, endlich wieder spielen zu können.