Es geht um den Handball!
Die Kolumne von Uwe Gensheimer
aus der Handball Inside #36
(erscheint am 22. Dezember 2020)
15. Dezember 2020
Am 14. Januar beginnt in Ägypten die 27. Handball-Weltmeisterschaft. Es gibt kaum ein Großturnier, über das bereits im Vorfeld so kontrovers diskutiert wurde.
Bei den vielfältigen Meinungen geht es um die Durchsetzbarkeit der Hygienekonzepte, Verantwortlichkeiten, Selbstverantwortung und um persönliche Einschätzungen bezüglich der Zukunft unseres Sports. Die Entscheidung meiner Mitspieler, die aus privaten Gründen auf die WM-Teilnahme verzichten, muss man akzeptieren.
Wir können uns nicht erlauben, diese Weltmeisterschaft nicht zu spielen!
Kein Treffen mit alten Teamkollegen, kein privater Austausch beim Kaffee, kein kurzer Spaziergang mit Freunden und kein Plausch mit den Fans: Die Vorstellung, vier Wochen in einem Einzelzimmer zu sitzen, das Hotel nur zum Training zu verlassen und um den Weltpokal in einer geisterähnlichen Kulisse zu kämpfen, finde ich persönlich auch ernüchternd. Die aktuellen Umstände entsprechen keineswegs der Wunschvorstellung der Profihandballer, denn jedes Turnier lebt auch von seinen Fans! Wenn ich an die wichtigsten Meilensteine meiner Karriere denke, dann erinnere ich mich gleichzeitig auch automatisch an die Atmosphäre in der entsprechenden Halle, an die Lautstärke und an die großen Emotionen, die in solchen Situationen nur im Zusammenspiel mit den Zuschauern entstehen konnten.
In Madinat as Sadis min Uktubar, WM-Austragungsstätte unserer Gruppe A, wird es mit Sicherheit anders. Halbleere Arenen, Kontaktbeschränkungen und das Leben in der „Bubble“ werden, trotz aller Bemühungen des Ausrichters, logischerweise weniger Spaß machen.
Wir können uns aber trotzdem nicht erlauben, diese Weltmeisterschaft nicht zu spielen!
Wir können uns beim Handball mit weiteren 31 Haushalten über 60 Minuten auf engstem Raum tummeln. Das sollten wir wertschätzen!
Die wichtigste Voraussetzung ist geschaffen: Wir haben ein Konzept, das uns in einer schweren Situation weiterhin erlaubt, unseren Beruf auszuüben. Damit gehören Profihandballer zu den Menschen, die dieses Privileg während der Corona-Pandemie überhaupt genießen dürfen – Geisterspiele und Hygienekonzepte hin oder her.
Natürlich müssen Vereine Geld in die Hand nehmen, um die WM-Fahrer im Anschluss so explizit und engmaschig auf Corona zu testen, dass bei einer möglichen Infektion eines Einzelnen nicht das komplette Team in Quarantäne geschickt und damit die Bundesligataktung weiter durcheinandergebracht werden muss.
Unser Sport wird gerade sowohl national als auch international durch richtige Konzepte und die strikte Umsetzung der Vorsichtsmaßnahmen überhaupt ermöglicht. Während Ligen anderer Sportarten pausieren müssen oder Großfamilien das Treffen unter dem Weihnachtsbaum womöglich untersagt wird, können wir uns beim Handball mit weiteren 31 Haushalten über 60 Minuten auf engstem Raum tummeln. Damit nehmen wir Handballer, in einer Zeit harter gesellschaftlicher Einschränkungen, aufgrund unseres Berufes eine Sonderstellung in der Gesellschaft ein. Das sollten wir wertschätzen!
Fangesänge sind schon immer die schönste Musik in jeder Handballhalle.
Bei der aktuellen Meinungsvielfalt darf ein weiterer Aspekt nicht fehlen: Die Clubs sind nicht nur Leidtragende der Umstände, sondern profitieren auch von den Erfolgen einer starken Nationalmannschaft. Schließlich war die Begeisterung für unseren Sport in Deutschland immer am größten nach einer Goldmedaille.
Das Publikum mitzureißen, bleibt weiterhin die höchste Belohnung für jedes Team, und Fangesänge sind schon immer die schönste Musik in jeder Handballhalle. Aktuell müssen wir uns allerdings selbst zur Höchstleistung pushen. Und das werden wir in Ägypten auch tun – es geht schließlich um etwas, was wir alle lieben:
Es geht um den Handball.