Evgeni Pevnov

Ich bin ein Pionier

Aus der Handball Inside #60 6/2024

13. Februar 2025

Evgeni Pevnov wechselte im Sommer 2023 nach Dänemark und schrieb gleich in seiner ersten Saison mit Fredericia HK Vereinsgeschichte. Der 35-jährige Kreisläufer wurde dänischer Vizemeister und spielt nun wieder in der Champions League.

Wie lebt es sich als einziger deutscher Spieler in einer skandinavischen Mannschaft?
Evgeni Pevnov: Sehr gut! Der Start im Sommer 2023 war schon phänomenal, ich habe das erste Jahr im Verein wie im Rausch erlebt. Alles war neu, alles war aufregend und wir hatten sportlich großen Erfolg. Der dänische Handball ist viel schneller, als ich es gewohnt war, dafür aber weniger körperbetont. Inzwischen ist natürlich eine gewisse Normalität eingekehrt, ich kenne die Wege, die Abläufe und die Besonderheiten der hiesigen Liga.

Wie erleben Sie die dänische Mentalität?
Pevonov: Ich glaube, meine Art erleichtert es anderen, mit mir in Kontakt zu treten. Ich mache gerne den ersten Schritt und gehe offen auf Menschen zu. Dadurch bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als mich zu mögen (lacht). Ich genieße es sehr, hier zu leben.

Sportlich hat Fredericia in der Saison 2023/24 einen regelrechten Höhenflug hingelegt.
Pevnov: Wir sind jetzt amtierender Vizemeister, wurden in der Liga Zweiter und haben, zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte, das Ticket für die Königsklasse gelöst. Mein erstes Jahr hier hat mich an meine Zeit damals bei den Füchsen erinnert, als wir 2012, vollkommen unerwartet, sogar bis ins EHF FINAL4 gekommen sind. Wir waren ein sehr gutes Team, es gab niemanden, der als absoluter Schlüsselspieler großartig herausgestochen ist. Jeder war ein wichtiger Teil vom großen Ganzen, dazuzugehören war einfach ein fantastisches Gefühl. So ist es hier auch, und im Nachhinein sage ich, dass es eine sehr gute Entscheidung war, nach Dänemark zu wechseln. Meinen Zweijahresvertrag habe ich dann recht schnell aus voller Überzeugung um ein weiteres Jahr verlängert.

Wollten Sie nicht mehr in der Bundesliga spielen?
Pevnov: Ich habe sehr schöne, wichtige und erfolgreiche Jahre in Hannover erlebt, aber nach sechs Jahren ging die Zeit dort einfach zu Ende. Als sich das für alle Beteiligten klar herauskristallisierte, kam Fredericia HK direkt mit einem konkreten Angebot auf mich zu und mein Interesse war schnell geweckt. Den Coach, Gudmundur Gudmundsson, kannte ich aus der Bundesliga, und nach dem ersten Telefonat war mir klar, dass ich das Vertrauen und die entsprechenden Spielzeiten von ihm bekommen werde. Die Entscheidung zu treffen, war somit einfach. Wir mussten allerdings noch klären, was alles um den Handball herum passiert.

Sie sind mit Ihrer Frau und den drei Söhnen in den Norden gezogen.
Pevnov: Ja, so einen Entschluss fällt man mit und für die ganze Familie. Als der Verein ein geeignetes Haus für uns fand und sich auch die Rahmenbedingungen herauskristallisierten, war für uns klar: Wir ziehen nach Dänemark!

Aber so unkompliziert, wie das jetzt klingt, soll es nicht gewesen sein
Pevnov: Die Theorie entspricht leider nicht immer der Praxis. Wir haben innerhalb kürzester Zeit unseren Hausstand in unzählige Kartons zusammengepackt und waren bereit, aufzubrechen. Dann rief mich HKGeschäftsführer Tomas Larsson mit der Hiobsbotschaft an, unser Haus wäre noch nicht fertig. Nach der ersten Schätzung sollte sich der Umzug um zwei weitere Wochen verzögern.

Und wie haben Sie das Problem gelöst?
Pevnov: Mein Nachmieter war der dänische Recken-Neuzugang Simon Gade. Er war damit einverstanden, dass wir einen kompletten Raum in seiner neuen Wohnung mit unseren Möbeln und Kisten vollstellen, bis der Umzugsunternehmer eine Woche später alles abholt.

War das Haus dann fertig?
Pevnov: Nein. Wir mussten hier erst mal alles zwischenlagern, denn zu der Zeit wohnten wir noch in einem Ferienhaus. Wenn man es genau nimmt, sind wir also zweimal umgezogen.

Mit drei kleinen Kindern bestimmt auch kein Zuckerschlecken.
Pevnov: Zeitweise lebten wir aus Koffern. Das wird dann weniger lustig, wenn du direkt am Meer lebst, deine Badehosen allerdings noch in Kisten verpackt in Hannover verweilen. Es waren aber hauptsächlich Kleinigkeiten, die nervig waren. Insgesamt hat es dann fast zwei Monate gedauert, bis wir in unser neues Zuhause komplett eingezogen sind.

Gestaltete sich Ihr sportlicher Start auch so holprig?
Pevnov: Glücklicherweise nicht. Ich habe ein großes Vertrauen zu meinem Coach und wusste von Anfang an, dass ich viel spielen und im Verein relativ schnell Fuß fassen werde.

Was wussten Sie im Vorfeld von Fredericia?
Pevnov: Von der Stadt wusste ich gar nichts. Vom Verein war mir die Vorjahresplatzierung bekannt, mehr aber auch nicht. Somit hatte ich auch nicht viele Erwartungen und wurde in jedem Bereich positiv überrascht.

„ES WAR AUCH MAL SCHÖN, IRGENDWO KOMPLETT UNBEFANGEN ZU STARTEN“

Haben Sie vorab mal mit Ihrem dänischen Freund Casper Mortensen über den Club gesprochen?
Pevnov: Casper hat seine ersten Handballschritte hier gemacht, und die Eltern seiner Frau wohnen 300 Meter von uns entfernt. Aber ich habe ihn im Vorfeld meiner Vertrags-Unterzeichnung nicht zum Club befragt. Es war auch mal schön, irgendwo komplett unbefangen zu starten.

Sie sollen hier genauso schnell zum Publikumsliebling geworden sein, wie zuvor schon in Hannover.
Pevnov: Ich war ehrlicherweise ziemlich verwundert, als plötzlich der erste Fan hier ein Tattoo von mir hatte.

Hat sich jemand Ihre Trikotnummer stechen lassen, oder war das sogar Ihr Konterfei?
Pevnov: Es sind meine Initialen und die Trikotnummer. Ich ziere also gleich doppelt ihre Haut.

… ihre Haut?
Pevnov: Ja, es sind inzwischen zwei Leute mit Tattoos: ein Mann und eine Frau.

Wie ist hier das Zusammenleben in der Mannschaft?
Pevnov: Das ist schon anders als Pevnovs Initialen und Trikotnummer sind begehrte Tattoo-Motive in Fredericia in Deutschland, wir alle leben hauptsächlich in unserer kleinen Familien-Bubble. Meine Teamkollegen William Moberg aus Schweden und unser Kubaner Reinier Dranquet wohnen zwar nur ein paar Häuser von uns entfernt, aber privat unternehmen wir nicht viel zusammen. Nachdem man alle Kinder aus der Schule und aus dem Kindergarten abgeholt hat, gestaltet man in Dänemark den Nachmittag meistens auch mit der Familie. Einige Teamkollegen leben auch etwas weiter weg, direkt in Fredericia oder in Århus.

Århus ist eine Stunde Autofahrt von Fredericia entfernt.
Pevnov: Ja, es gibt eine Mitfahrgemeinschaft im Team, die jeden Tag mit einem vollen Auto pendelt. Ich könnte das nicht, ich muss schon da wohnen, wo sich mein Berufsleben abspielt. Sarah und ich haben übrigens mal einen Teamabend veranstaltet und luden die komplette Mannschaft mit den jeweiligen Familien zu uns ein. Wir stellten Zelte auf, organisierten Stühle und Tische, und es gab Pizza für alle.

Waren Ihre Teamkollegen nicht verwundert?
Pevnov: Doch, das waren sie bestimmt. Auf einen Kaffee irgendwo vorbeizuspringen, ist hier nicht üblich, und die Privatsphäre bleibt in Dänemark gerne privat. Das haben wir sogar in unserer neuen Nachbarschaft festgestellt.

Ist diese Haltung positiv oder finden Sie es eher befremdlich?
Pevnov: Es ist einfach nur ungewohnt. Um es mit einem Beispiel zu erklären: Meine Jungs springen oft im Garten herum und haben unsere Nachbarn, ein älteres Ehepaar, schnell in ihr Herz geschlossen. Einige Monate nach unserem Umzug stand ein Termin mit der Mannschaft an, und so kurzfristig eine professionelle Babysitterin zu organisieren, schien unmöglich. Also fragten wir die Nachbarn, ob es möglich wäre, dass sie auf unsere Kinder aufpassen. So viel Vertrauen hat dann bei meiner Nachbarin die Tränen fließen lassen, sie fand die Frage so rührend, dass sie gleich losheulte.

Also haben Sie auch dort schon das Eis brechen können …
Pevnov: Ja, wahrscheinlich. Es ist einfach so unsere Art.

Auf welche Sprache unterhält man sich in der Kabine?
Pevnov: Der Trainer spricht zu uns hauptsächlich auf Englisch. Nur wenn er wütend ist, schimpft Gummi auf Dänisch und sagt zu mir dann: Das übersetze ich Dir später.

Wenn man schimpfen kann, heißt es, beherrscht man erst eine Sprache.
Pevnov: Mein Trainer kann ja sehr gut Dänisch. Ich lerne zwar fleißig und die einfache Konversation gelingt mir bereits, aber ich würde nicht behaupten, dass ich schon Dänisch kann. Glücklicherweise beherrsche ich andere Sprachen, die auch ein umfangreiches Repertoire an kreativen Schimpfwörtern bieten (lacht).

Ihre Mannschaft kommt bisher ohne die großen Stars aus. Ist das ein Teil der Club-Philosophie?
Pevnov: Ich würde schon sagen, dass bei uns bewusst die Mannschaft im Fokus steht. Das funktioniert sehr gut, denn die vielen engen Spiele können wir meistens für uns entscheiden.

 „DIE HK ULTRAS FEIERN AN JEDEM SPIELTAG EINE GROSSE PARTY UND PEITSCHEN UNS ALS TEAM NACH VORNE“

Und wie ist die Atmosphäre in der Halle?
Pevnov: Unsere Halle ist geisteskrank! Die Fankultur in Fredericia ist absolut einmalig und hier ist bei Weitem der beste und lauteste Fanclub in Dänemark zu Hause. Die HK Ultras feiern an jedem Spieltag eine große Party und peitschen uns als Team nach vorne. Vergleiche sind immer schwierig, aber wenn man unbedingt eine ähnliche Atmosphäre in Deutschland sucht, dann wären wir quasi in Eisenach.

Verfolgen Sie noch die Bundesliga?
Pevnov: Die Spiele kann ich gar nicht schauen, es sind lediglich die Ergebnisse, die ich verfolge, und ab und zu sehe ich die Highlights auf Social Media.

Es sind Ihre ehemaligen Vereine, Hannover, Eisenach und Gummersbach, die aktuell in der Bundesliga für Furore sorgen. Für wen drücken Sie die Daumen?
Pevnov: Ich freue mich für die Teams, wie beispielsweise Gummersbach, wo mein ehemaliger Mitspieler Christoph Schindler dem Verein als Geschäftsführer mit seinem Team zum alten Glanz verhilft. Aber auch Eisenach scheint einen super Job zu machen, und Hannover, das ist kein Geheimnis, steht mir weiterhin noch sehr nahe.

Hannover war Ihre bisher letzte Station in der Bundesliga. Wie denken Sie an diese Zeit zurück?
Pevnov: Mit Carlos Ortega spielten wir über Jahre ein Spielsystem, das seinesgleichen sucht. Es hat viel Spaß gemacht, die Liga zu rocken! Die Anfangszeit fühlte sich an wie ein gewaltiger Sprung, den man gerne genommen hat. Wir haben alle einen guten Job gemacht und hatten ein fantastisches Mannschaftsgefühl. Wenn ich mich nicht so wohlgefühlt hätte, wäre ich bestimmt nicht so lange bei den Recken geblieben. Wobei auch hier das Private eine wichtige Rolle gespielt hat. Meine Söhne sind in Hannover auf die Welt gekommen, diese Tatsache wird uns immer besonders positiv mit der Stadt verbinden.

Welche Recken-Freundschaften bleiben für immer?
Pevnov: Es besteht noch Kontakt zum ehemaligen Trainerteam Carlos Ortega und Iker Romero, und aus der damaligen Mannschaft habe ich immer noch viel mit Casper Mortensen zu tun. Wir waren bei seiner Hochzeit und sehen uns noch verhältnismäßig häufig. In Hannover hatten wir aber auch eine sehr lebendige Nachbarschaft, alles tolle und liebe Menschen, die mit der Zeit zur Familie wurden. Wir fahren nicht nur zusammen in den Urlaub, mein ehemaliger Nachbar ist der Patenonkel unseres jüngsten Sohnes und wir sind die Paten bei seinem jüngsten Kind.

Werden Sie vielleicht nach der aktiven Karriere auch nach Hannover zurückkehren?
Pevnov: Nein. Wir haben ein Haus in Heidelberg, nach diesem Abenteuer hier im Ausland werden wir dort einziehen.

Wohnt die Familie in der Nähe?
Pevnov: Das kann man so sagen. Vor 16 Jahren schaute meine Frau Sarah dort noch aus ihrem Badezimmerfenster direkt auf mein Elternhaus.

Sind Sie sonst auch ein gerechter Mensch?
Pevnov: Das würde ich schon sagen. Beim Brettspiel zum Beispiel würde ich lieber verlieren als unfair und unehrlich zu gewinnen.

Ihr Vater, ein ehemaliger Nationalspieler und Ex-Manager der russischen Handball Federation, soll Sie früher gerne mit Taktiktafel in der Hand an der Tür begrüßt haben.
Pevnov: Das macht er immer noch gerne. Seit wir uns seltener sehen, hat er auch Social Media für sich entdeckt. Er schaut sich Spielszenen von mir auf der offiziellen Instagram-Seite des Vereins an und leitet sie mit entsprechenden Kommentaren und Handlungsempfehlungen an mich weiter.

Kann er Ihnen noch irgendetwas beibringen?
Pevnov: Ob ich noch etwas von ihm für das Spielfeld lernen kann, das kann ich nicht sagen. Aber er ist bis heute ein wichtiger Gesprächspartner für mich, wenn es um Handball geht.

Sie werden im Februar 36 Jahre alt und feiern in Berlin.
Pevnov: Ich hoffe, dass ich dann feiern kann! Wir spielen an meinem Geburtstag unser Champions League-Spiel in Berlin und ich freue mich sehr auf dieses Wiedersehen mit meinem alten Verein. Wenn ich auf meine Karriere zurückblicke, dann muss ich sagen, dass ich die meisten Highlights mit diesem Club verbinde. Zu Bob Hanning habe ich bis heute ein sehr gutes Verhältnis, ich habe ihn schon vor einigen Wochen um ein größeres Kartenkontingent für unser Spiel gebeten, da ich gerne meine komplette Familie nach Berlin einladen möchte.

Sie werden auch bei den Champions League-Giganten in Paris und in Veszprém spielen.
Pevnov: Das wird sicherlich auch schön sein, aber am meisten freue ich mich auf das Spiel in Berlin – zumal wir auch zu Hause auswärts spielen.

Wie ist das zu verstehen?
Pevnov: Unsere Halle in Fredericia entspricht nicht den Statuten der EHF, also müssen wir nach Odense ausweichen. Es ist schon etwas schräg, denn es kommen auch dorthin nur die üblichen 2.000 Zuschauer, also spielen wir in einer halbvollen Arena, ohne das besondere Heimspiel-Gefühl.

Wieso weicht das Team nicht auf die benachbarte Arena in Kolding aus?
Pevnov: Der Verein gilt als unser Erzfeind. Wenn die Teams aufeinandertreffen, ist es jedes Mal eine besonders heiße Angelegenheit. Kolding ist mit dem Auto ungefähr 20 Minuten von Fredericia entfernt, bei der Brisanz der Derbys spielt bestimmt auch diese Nähe eine wichtige Rolle. Auf jeden Fall wäre es für alle Beteiligten unvorstellbar, unser Heimspiel in Kolding auszurichten. Eher würde man 200 Kilometer weiterfahren und in Kopenhagen spielen.

Sie haben vor zwölf Jahren mit Berlin schon mal das Unmögliche geschafft und das EHF FINAL4 in Köln erreicht. Ist das wieder ein Traum?
Pevnov: Letztes Jahr haben wir einen Meilenstein nach dem anderen erreicht, es war die erfolgreichste Spielzeit der Vereinsgeschichte. Und auch jetzt schauen wir Schritt für Schritt und passen unsere Ziele der Situation an. Aber ich denke nicht, dass wir auch nur einen Hauch von einer Chance auf Köln hätten. Der Weg ist allerdings toll und ich freue mich hauptsächlich für meine jungen Teamkollegen, dass sie die einzigartige Atmosphäre der Königsklasse erleben können.

Wieso spielen so wenige deutsche Spieler in Dänemark?
Pevnov: Ich bin ein Pionier. Zumindest in meiner Generation bin ich der erste, der nach Dänemark ausgewandert ist. In meinen jungen Jahren wäre dieser Schritt auch für mich unvorstellbar gewesen, wobei das eigentlich Quatsch ist. Wenn man sieht, wer alles aus Dänemark in der Bundesliga unterschreibt, dann ist es Blödsinn zu glauben, dass man hier von der Bildfläche verschwindet.

Sie haben als Handballprofi schon viele Vereine kennengelernt. Gibt es einen Club, oder eine Liga, die Sie nochmal besonders reizen würde?
Pevnov: Aktuell gehe ich davon aus, dass Fredericia HK meine letzte Station ist. Ich lasse mich allerdings auch gerne überraschen.

Zita Newerla