02.Januar 2023
Jannik Kohlbacher ist ein wahrer Kämpfer. In seinem Club wie in der deutschen Nationalmannschaft überzeugt der 27-Jährige mit seinen Qualitäten. Leise Töne gibt‘s bei ihm nur privat.
Als Sie vor vier Jahren zu den Rhein-Neckar Löwen wechselten, wurden Sie als Heimkehrer empfangen. Können Sie sich noch an die Zeit und Ihre eigene Erwartungshaltung erinnern?
Jannik Kohlbacher: Ich fühlte mich selbst auch als Heimkehrer. Als Jugendlicher habe ich zwar nie das Trikot der Löwen getragen, doch da meine Familie hier praktisch um die Ecke wohnt, war mir die Region immer schon absolut vertraut. Seit dem ersten Tag fühle ich mich hier auch sehr wohl, und meine Erwartungen an den Verein haben sich seitdem kein bisschen verändert. Klar, damals mit dem Pokalsieg und dem doppelten Meistertitel hatte der Club vielleicht noch einen etwas anderen Glanz. Aber in meinen ersten drei Löwen-Jahren haben wir auch immer ganz gut gespielt, mit dem Tabellenplatz Vier oder Fünf in der stärksten Liga der Welt brauchten wir uns nicht zu verstecken. Wo du am Ende einer Spielzeit stehst, hängt ja letztlich auch von der Form der anderen ab und davon, wie viele der Vereine eine tadellose Saison gespielt haben.
Und was war in der letzten Spielzeit los?
Kohlbacher: Da sind wir leider weit unter unseren eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Doch aktuell sind wir wieder auf einem sehr guten Weg! Niemand von uns erhofft sich derzeit, dass wir am Ende der Saison Erster, Zweiter oder Dritter werden, aber wenn wir weiterhin mit dieser großen Leidenschaft, dem unbedingten Willen und mit Überzeugung in jedem Spiel auftreten, können wir auf jeden Fall einen wichtigen Grundstein für die kommenden Jahre legen, um irgendwann wieder eine glorreiche und glanzvolle Zeit einzuläuten.
Sie haben den Wechsel also bisher nicht bereut?
Kohlbacher: Keine Sekunde! Am Ende jeder Saison, unabhängig vom Tabellenplatz, gibt es immer schöne Augenblicke mit den Mannschaftskameraden oder spektakuläre Siege, die man sehr positiv in Erinnerung behält. Dafür braucht man nicht unbedingt eine Trophäe in einer Vitrine oder eine Medaille um den Hals.
In den letzten Monaten haben Sie schon etliche dieser Momente erleben können, aktuell läuft es ja für die Löwen nahezu perfekt.
Kohlbacher: Wir erinnern uns gerne an das umkämpfte Unentschieden gegen Magdeburg und an den großartigen Sieg gegen Flensburg. Vor allem, weil die Verunsicherung nach der letzten Saison, wo wir unsere Leistung einfach nicht auf die Platte bekommen haben, da noch relativ groß war.
Die verkorkste Saison 2021/22 ist also immer noch ein Thema?
Kohlbacher: Nein, die ist lediglich eine Motivation. Wir waren uns alle einig, dass das, was wir gezeigt haben, nicht unser wahres Gesicht sein kann.
„Am Ende jeder Saison, unabhängig vom Tabellenplatz, gibt es immer schöne Augenblicke mit den Mannschaftskameraden oder spektakuläre Siege, die man sehr positiv in Erinnerung behält.“
Ein richtiger Grund für die überraschende Leistungsschwäche wurde nie genannt.
Kohlbacher: Das war ja auch schwer zu begreifen. Wieso wir uns in diese negative Leistungsspirale hineinkatapultiert haben, wussten wir selbst nicht. Wir lieferten an einem Tag ein super Spiel gegen einen starken Gegner ab und verloren zwei Tage später auswärts hoch, bei einem Gegner auf einem Abstiegsplatz – so lässt sich die letzte Spielzeit kurz zusammenfassen. Wenn man sich unsere aktuellen Spiele anschaut und sich fragt, woran die guten Ergebnisse liegen, dann sicherlich nicht, weil Andy Schmid das Team verlassen hat oder dass neue Spieler gekommen sind. Wenn man uns letztes Jahr in die Augen geschaut hat, war da gähnende Leere, jetzt brennt da wieder richtiges Feuer.
Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen von Trainern, wenn der Erfolg mal ausbleibt. Brauchen Sie dann mehr Druck oder eher Streicheleinheiten und Mannschaftsabende für Ihre persönliche Hochleistung?
Kohlbacher: Ein sogenanntes Straftraining beispielsweise habe ich bei den Löwen noch nie erlebt. Darauf kann ich auch gut verzichten. Ich denke, dass wir Profis genug sind, um auch ohne große Ansprachen oder zusätzliche Strafeinheiten zu verstehen, was bei einem Club generell auf dem Spiel steht, wenn die Mannschaft nicht abliefert. Wenn ich mich allerdings persönlich zwischen den aufgezählten Varianten entscheiden müsste, würde ich dennoch lieber den Druck wählen als auf die Streicheleinheiten zurückzugreifen.
Wie erleben Sie die aktuelle Saison? Kam der große Leistungssprung nur für die Zuschauer unerwartet oder waren auch Sie etwas vom Team überrascht?
Kohlbacher: Die Erwartungshaltung in der Mannschaft an die neue Saison war beim Trainingsauftakt zugegebenermaßen gedämpft. Doch bereits in der Vorbereitung wussten wir, dass wir auf einem guten, naja, eigentlich sogar auf einem sehr guten Weg sind. Allerdings braucht es ja auch immer einen richtigen Gradmesser, um herauszufinden, wo man als Team genau steht. Und bis auf das Spiel in Kiel, wo uns leider Niklas Landin die Punkte abgenommen hat, konnten wir unseren Erwartungen bisher mehr als gerecht werden.
Und wie lebt es sich jetzt auf der Welle der Euphorie?
Kohlbacher: Also, wir müssen uns keine schlechte Stimmung einreden, damit wir auf dem Teppich bleiben. Gewonnen haben wir schließlich noch nichts. Wir genießen einfach die positive Arbeitsstimmung und den Hunger, die Lust und den Spaß. Aktuell müssen wir allerdings einige Ausfälle in der Mannschaft kompensieren und absolvieren gerade ein straffes Programm. Das haben wir logischerweise auch im Blick.
Was würden Sie machen, wenn die Löwen am Ende der Saison sogar Meister werden?
Kohlbacher: Dafür habe ich logischerweise noch keine Pläne geschmiedet. Aber ich lasse mich dann auch gerne von mir selbst überraschen (lacht).
Gibt es noch ein anderes Team, das Sie derzeit genauso beeindruckt wie Ihr eigenes?
Kohlbacher: Gummersbach schlägt sich aktuell super, da macht Goggi Sigurdsson einen fantastischen Job.
„Wenn man uns letztes Jahr in die Augen geschaut hat, war da gähnende Leere, jetzt brennt da wieder richtiges Feuer.“
Ihre Social-Media-Kanäle zeigen nur wenig private Einblicke, kürzlich haben Sie allerdings ein Kamerateam auf den Bauernhof Ihrer Eltern eingeladen. Wie persönlich darf es für Sie in der Öffentlichkeit sein?
Kohlbacher: Ich habe eigentlich kein Problem mit privaten Einblicken und zeige auch gerne jedem die Alpakas, die Hasen oder die Hühner auf dem Hof meiner Eltern. Das Interesse darf nur nicht in Belästigung umschlagen, wenn beispielsweise jemand ohne Ankündigung mit seiner Kamera einfach vor der Tür steht.
Wie man in dem Beitrag sehen kann, bewegen Sie sich zwischen den zahlreichen Tieren wie selbstverständlich. Was gibt Ihnen dieses Umfeld?
Kohlbacher: Ich bin in diesem Umfeld aufgewachsen. Mir bedeutet es auch wirklich viel, den Tieren ein schönes Zuhause zu geben, und gleichzeitig ist für mich dieser Bauernhof der perfekte Rückzugsort. Im Vergleich zu meinem anderen Hobby, dem stupiden Angeln, ist dieser Zeitvertreib ja auch relativ bewegungsintensiv (lacht).
Sie packen auf dem Bauernhof auch richtig mit an?
Kohlbacher: Natürlich! Im Frühjahr und im Sommer steht die meiste Arbeit an. In der trainingsfreien Zeit sitze ich während der Heuernte gerne mal drei Tage hintereinander auf dem Traktor. Aber auch im Laufe der Saison verbringe ich viel Zeit auf dem Hof. Praktischerweise wohne ich ja nur ein paar Minuten von hier entfernt.
Wohnen Sie auf dem Land?
Kohlbacher: Ja, ich bin einfach kein Großstadtmensch. Direkt am Neckar zu leben, ist viel idyllischer, leiser und angenehmer für mich.
Schauen Sie dann auch mal TV-Formate, wie „Bauer sucht Frau“?
Kohlbacher: Tatsächlich habe ich mir schon einige Folgen angeschaut. Aus meinem Freundeskreis hat sich sogar mal jemand dort angemeldet.
Spiegelt die Sendung das tatsächliche Hofleben wider?
Kohlbacher: Also, ich kenne keinen einzigen Bauern, der in Jeans und Hemd auf dem Hof oder mit den Tieren arbeitet (lacht).
„Wir müssen uns keine schlechte Stimmung einreden, damit wir auf dem Teppich bleiben.“
Haben Sie die Fußball-WM angeschaut?
Kohlbacher: Ehrlich gesagt, bin ich bei den Spielansetzungen gar nicht richtig dazu gekommen.
Viele Zuschauer und Fans erwarteten von den Nationalspielern eine deutlichere politische Haltung und klare Statements. Wie finden Sie das?
Kohlbacher: Das ist ein schwieriges Thema. Sportler suchen nicht den Veranstaltungsort eines Großturniers aus, sie haben keinen Einfluss auf Entscheidungen der Weltverbände. In erster Linie will sich jeder Profi auf seine Leistung konzentrieren. Und wenn konkrete Handlungen oder das Tragen bestimmter Symbole mit Wettkampfausschluss sanktioniert werden, dann ist die scharfe Kritik an den Spielern nicht unbedingt fair. Was ich persönlich bei der aktuellen Weltmeisterschaft eher sonderlich finde, ist die Winter-Thematik. Im November und Dezember kann man die wenigsten für ein solches Fußball-Großereignis begeistern, mich übrigens auch nicht
Apropos Großturnier: Wie haben Sie die letzte Handball-EURO mit dem Corona-Karussell in Erinnerung?
Kohlbacher: Es ist so, dass ich am Ende nicht einmal den kompletten Kader aufzählen könnte, geschweige denn, wer dort bei welchem Spiel wie viele Minuten gespielt hat. Es war einfach eine verrückte Europameisterschaft.
Sie hatten bei der Nationalmannschaft auch einige Male etwas Pech. Kurz vor der WM 2021 haben Sie sich verletzt, bei dem EHF EURO-Cup in Mannheim mussten Sie auch passen.
Kohlbacher: Ja, die letzten zwei Turniere und das Spiel gegen Schweden in der SAP Arena waren für mich nicht so von Glück gekennzeichnet, erfreulicherweise durfte ich aber schon viele andere Spiele im Trikot der Nationalmannschaft absolvieren. Und ich hoffe, dass in der Zukunft noch etliche hinzukommen.
Für die nächste WM reist das deutsche Team nach Polen. Mit dem Land müssen Sie doch viele positive Erlebnisse verbinden.
Kohlbacher: Die Europameisterschaft 2016 bleibt natürlich unvergessen. Wir wissen noch ganz genau, wozu wir damals imstande waren. Mir hat auch das Land gut gefallen.
Wie beurteilen Sie die Gruppe mit Serbien, Katar und Algerien?
Kohlbacher: Ich freue mich, dass wir zunächst den ganz großen Brocken aus dem Weg gehen. Am gefährlichsten in unserer Gruppe finde ich Serbien. Wenn sich das Team in einen Rausch spielt, ist es schwer zu stoppen, und gegen Katar haben wir uns auch schon mal schwergetan. Es wird also kein einfacher Auftakt, dennoch wollen wir die Vorrunde unbeschadet
überstehen und auch in der Hauptrunde überzeugen.
Was ist die größte Stärke des deutschen Teams?
Kohlbacher: Unser absolutes Plus ist, dass wir in Deutschland eine sehr gute Liga haben, in der sich auch junge Spieler, wie beispielsweise Julian Köster, der aktuell seine allererste Saison in der ersten Bundesliga spielt, sehr gut weiterentwickeln. Eine gute Mischung von Talent und Routine, wie beispielsweise Andy Wolff und Till Klimpke im Tor, wird uns auf jeder Position in Polen weiterhelfen. Unser Team ist breit aufgestellt, wir müssen uns nicht auf ein, zwei Superstars verlassen, auf die wir uns dann beschränken müssen. Wir sind eine richtige Mannschaft!