Xenia Smits
„Nur auf der Platte können wir alles beeinflussen“
01. Dezember 2020
Xenia Smits ist wieder da. Nach fünf Jahren in Metz, vier französischen Meistertiteln und einer auskurierten Schulterverletzung greift die Rückraumspielerin, die seit Sommer das Trikot der SG BBM Bietigheim trägt, jetzt in der Bundesliga an.
Das Interview führte Zita Newerla für Handball Inside Ausgabe #35 (erschien am 19. November 2020)
Schön, dass Du wieder in Deutschland bist! Wie verlief Dein Wechsel aus Frankreich in die Bundesliga während dieses chaotischen Sommers?
Bevor die Grenzen komplett dichtgemacht wurden, hatten wir in Metz eine Woche frei, die ich in Deutschland bei meinem Freund verbracht habe. Mein Wechsel war beschlossene Sache, so konnte ich die Zeit gut für die Wohnungssuche nutzen. Nach dem Lockdown ging in Frankreich alles recht schnell und die Liga wurde abgesagt. Ab dem Moment konnte ich mich komplett auf meinen neuen Verein und den neuen Lebensabschnitt konzentrieren.
In Frankreich, wie auch in Deutschland, wurde bei der Meisterfrage bei den Frauen eine andere Entscheidung als bei den Männern gefällt.
In Frankreich wurde kein Meister unter den Frauenteams gekürt. Ich habe dafür Verständnis, denn die sportliche Situation war noch komplett offen. Sowohl Metz als auch Brest mischten vorne mit und hatten gute Chancen auf die Meisterschaft. Die Liga wurde dann konsequent vorzeitig beendet und der Verband einigte sich darauf, dass Metz regulär an der Champions League 2020/21 teilnimmt und Brest die Wildcard beantragt. Die weiteren internationalen Plätze wurden nach der Tabelle der Vorsaison vergeben.
Warum wurden Frauen anders als die Männer beurteilt?
Dass die Entscheidung unterschiedlich ausfällt, hat sicherlich damit zu tun, dass die Ligen juristisch unabhängig voneinander agieren, ihren eigenen Weg gehen können.
Ist das nicht ungerecht?
Unter diesen Bedingungen hätte ich mich persönlich über keinen Titel gefreut. Die Saison war einfach noch nicht zu Ende. Die Meisterschaft erlebt traditionell im Finish ihren Höhepunkt, auch diesmal wäre es mit Sicherheit eine enge Kiste geworden. Eine Trophäe nach dem Tabellenzwischenstand zu vergeben, wäre alles andere als gerecht, und einen gefühlt geschenkten Titel möchte ich nicht.
„Ich wusste lange nicht, ob meine Spielerberechtigung rechtzeitig in Bietigheim ankommt. Man hat hauptsächlich mit einem Anrufbeantworter kommuniziert.“
Und wie empfandest Du die Absage der DELO EHF Champions League?
Das Erreichen des FINAL4 war schon immer mein Ziel. Letztes Jahr haben wir das geschafft und auch wenn es nur für Platz 4 gereicht hat, war dieses Mega-Event in Budapest eine unglaubliche Erfahrung. Wir waren fast überfordert von dieser lautstarken Kulisse in der Papp László Budapest Sportaréna. Unabhängig von der Platzierung kann ich sagen, dass mich dieses Erlebnis sportlich weitergebracht hat. Am Ende wusste ich nur: Hier will ich unbedingt noch Mal hin (lacht). 2020 standen wir bereits mit einem Bein im FINAL4.
Ich hätte es cool gefunden, wenn wir mit dem Team hätten teilnehmen können, das sich das Halbfinale erarbeitet hat. Wenn allerdings etwas unter den Bedingungen ausgetragen wird, dass die halbe Mannschaft nicht mehr da ist, dann hat das in meinen Augen für einen Club und für die Mannschaft nicht den gleichen Stellenwert.
In Frankreich sollen mit dem Lockdown sowohl in den Clubs als auch im Verband alle Schotten dicht gemacht worden sein.
Die Erfahrung habe ich auch machen müssen, denn ich wusste lange nicht, ob meine Spielerberechtigung rechtzeitig in Bietigheim ankommt. Beim französischen Handballbund war gefühlt jeder in Kurzarbeit. Man hat hauptsächlich mit einem Anrufbeantworter kommuniziert und auch der nahm irgendwann keine Nachrichten mehr entgegen, da er voll war. So sind viele Sachen auf der Strecke geblieben und auch ich musste etwas zittern.
Hast Du Dir Deine Rückkehr so vorgestellt?
Ich hatte keine konkretenVorstellungen und aktuell sind die Umstände, unter denen wir im Jahr 2020 trainieren, spielen und leben, sowieso besonders. Klar würde ich mich freuen, wenn unsere Halle wieder bis an die Decke mit Zuschauern gefüllt werden könnte, doch es geht einfach nicht. Beschweren kann und will ich mich aber nicht, denn ich wurde sehr schnell ins Team aufgenommen, und so macht Handball einfach Spaß.
„Nicht nur bei uns Sportlern steht die Gesundheit an erster Stelle.“
Auch mit Bietigheim spielst Du in der Champions League. Ist das Ziel wieder Budapest?
Wir haben ein gutes Team, doch sich gleich das FINAL 4 als Ziel zu setzen, finde ich noch zu früh. Wir müssen erst den Fokus auf uns legen und Spiel für Spiel alle Punkte wegschnappen. Groß denken schadet allerdings nie und wenn alles optimal läuft, glaube ich, dass wir uns durchaus für die Zukunft ambitionierte Ziele wie das FINAL4 setzen können.
Du hast Dich inzwischen wieder in Deutschland eingelebt. Wie sieht Deine Einschätzung aus: Könnte die deutsche Bundesliga von der französischen etwas lernen?
In Frankreich trainieren die Frauenteams unter extrem professionellen Bedingungen. Die Trainingszeiten werden nicht danach vergeben, wann die Halle freie Kapazitäten hat, sondern danach, wann eine Trainingseinheit sinnvoll ist. Da könnten sich einige deutsche Clubs bestimmt eine Scheibe abschneiden und versuchen, die Bedingungen ähnlich zu professionalisieren. Dennoch sind auch die Erwartungen einzelner Spielerinnen meist individuell. Wenn jemand neben dem Handball eine Ausbildung oder einen Uniabschluss in der Regelstudienzeit absolvieren will und ihren Fokus nicht zu 100 Prozent auf den Sport ausrichtet, der will vielleicht lieber erst am Abend trainieren. Es gibt also kein „besser“ oder „schlechter“, es gibt nur ein „anders“. Interessanterweise sind Französinnen trotz des harten Trainings etwas lockerer unterwegs, was allerdings nicht bedeutet, dass sie leger an die Sache herangehen. Sie sind einfach nur tiefenentspannter (lacht).
Wie viele Zuschauer sind in der Halle am Viadukt, der offiziellen Spielstätte der Bietigheimer Frauen, jetzt (im Oktober) zugelassen?
Soweit ich weiß, dürfen sich in der Halle maximal 500 Personen aufhalten, wobei die Zahl auch alle Spielerinnen, Trainerteams, Ordner und den erweiterten Stab beinhalten. Nach meiner Information sind die Plätze, die vergeben werden können, bei unseren Zuschauern auch sehr gefragt und das ist bereits ein Erfolg unter diesen Umständen.
Ist es ein großer Unterschied, ob man vor 500 oder 5.000 Zuschauern spielt?
Auf jeden Fall. Es geht dabei nicht nur um die Stimmung, die uns auf dem Feld oft mitreißt, es geht um das ganze Drumherum, was ich gerne als „Handball-Feeling“ bezeichne. Unser Publikum gibt uns normalerweise einen richtigen Rückenwind, indem sie uns anfeuern, die Gegner entmutigen und ab und zu sogar die Schiris verunsichern (lacht). Die aktuelle Situation bietet uns aber auch einen kleinen Vorteil: Die Kommunikation auf dem Feld kommt besser an, wir hören uns laut und deutlich.
Viele Hallen können die aktuellen Kapazitäten beim Kartenverkauf nicht ausschöpfen. Hast Du für Menschen Verständnis, die lieber zu Hause bleiben?
Selbstverständlich! Es gibt viele Menschen, die zur Risikogruppe gehören, und nicht nur bei uns Sportlern steht die Gesundheit an erster Stelle. Es wird sowieso eine besondere Saison. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie es weitergeht. In der Champions League beispielsweise wurden bereits die ersten Spiele verlegt. Wann die genau ausgetragen werden sollen, wie viele Begegnungen noch verschoben werden oder bis wann die Saison mit den nachgeholten Spielen genau geht, kann heute niemand beantworten.
Die SG BBM Bietigheim hatte bisher noch keinen Corona-Fall.
Das stimmt, aber die Sorge ist immer groß. Vielleicht werden wir verschont, vielleicht müssen wir alle plötzlich in Quarantäne, wie beispielsweise das komplette Team beim ungarischen Fradi, wo sich zehn Spielerinnen gleichzeitig infiziert haben. Es wird eine Saison mit vielen Fragezeichen.
„Wir alle denken, dass diese Veranstaltung für uns in einer Bubble stattfinden wird.“
Der Auftakt der Saison war nicht nur Dein Debüt im neuen Trikot, es war auch ein Schwesterduell. Wie hat es sich angefühlt, gegen Munia zu spielen, die bei den Vipers in Bad Wildungen unter Vertrag steht?
Es war das erste Mal überhaupt, dass wir gegeneinander gespielt haben, und es war sehr merkwürdig. Ich kenne sie so gut, dass ich alles von ihren Augen ablesen kann, und ihr ging es genauso. Am Ende hat mein Team mit zehn Toren gewonnen, so war ich mit dem Ergebnis natürlich zufrieden. Für Munia und mich war es aber eine schwere Situation. Ich freue mich, dass wir in der kompletten Saison insgesamt nur 120 Minuten Gegner sind (lacht). Die Hälfte davon haben wir jetzt hinter uns.
Was hast Du Dir für die nächsten Monate sportlich vorgenommen?
Ich komme gerade aus einer Schulterverletzung und freue mich, dass ich inzwischen schmerzfrei bin. Ich will wieder auf mein persönliches Wurflevel kommen und mit meinen Qualitäten in Bietigheim dazu beitragen, dass wir uns an der Spitze behaupten können. In der Nationalmannschaft würde ich gerne den nächsten Schritt mit der Mannschaft schaffen und bei der Europameisterschaft nicht wieder kurz vor dem Halbfinale ausscheiden. An diesem Ziel arbeiten wir aktuell alle sehr hart.
SisterAct: Xenia und ihre Schwester Munia
Die Women’s EHF EURO steht zwischen dem 3. bis 20. Dezember auf dem Programm. Der Bundestrainer rechnet mit den verschiedensten Szenarien…
Wir alle denken, dass diese Veranstaltung für uns in einer Bubble stattfinden wird. Der Plan ist, dass wir uns nur auf das Nötigste konzentrieren, uns kaum fortbewegen und keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Alle hygienischen Maßnahmen müssen von uns vernünftig und ordentlich umgesetzt werden und bei allem was wir tun, müssen wir vorsichtig agieren. Es ist schon hart, wenn du dich plötzlich fragen musst, ob du nach einem spektakulären Tor deine Mitspielerin umarmen darfst. Wir sind gerne zusammen und verbringen normalerweise auch viel Zeit mit Spielerinnen anderer Nationen, die wir aus unseren Clubs kennen. Doch diesmal geht das nicht. Eine Ansteckung passiert schneller, als man denkt, und die Folgen einer Infektion bei einem Großturnier wären verheerend.
Die Vorbereitung muss schon eine Herausforderung sein. Die Frauen der deutschen Nationalmannschaft kommen aus allen Himmelsrichtungen zu einem Lehrgang. Wie kann dennoch für die Sicherheit garantiert werden?
Wir werden bei jedem Lehrgang, bis die Testergebnisse da sind, möglichst voneinander getrennt. Es wird darauf geachtet, dass die Vereine zunächst untereinander bleiben. Auf das Tragen einer Mund-Nasen- Schutzmaske wird viel Wert gelegt und um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren, hängen wir nicht unnötig in Gemeinschaftsräumen ab. Alle Hygieneregeln halten wir streng ein und die Maske bleibt sogar während einer Behandlung bei unseren Physiotherapeuten auf. Wir empfinden das Team weiterhin als eine kleine Familie, sind aber aktuell in vielen Situationen vorsichtig und extrem diszipliniert, was den Umgang untereinander betrifft.
„Die Vorfreude erleben wir mit einer angezogenen Handbremse.“
Zu einer EURO gehört neben der harten Vorbereitung auch eine gewisse Vorfreude…
Solange es heißt, die Europameisterschaft findet statt, arbeiten wir auf unsere Ziele hin. Die Vorfreude auf das Event erleben wir allerdings mit einer angezogenen Handbremse.
Wie schätzt Du die sportlichen Chancen des deutschen Teams ein?
Wenn wir es schaffen, uns zu stabilisieren und mehr Konstanz ins Spiel zu bringen, indem wir uns auf uns und auf unsere Stärken konzentrieren, können wir auf jeden Fall für eine Überraschung sorgen. Die Qualität im Team ist da. Wenn wir die auf die Platte bringen können, dann geht einiges. Wir sind kein Leichtgewicht in der Gruppe, wir müssen aber hart arbeiten, um die Punkte zu holen.
Deutschland muss sich in der Gruppe D gegen Rumänien, Polen und den Gastgeber Norwegen behaupten. Wie würdest Du Deine Kontrahenten einschätzen?
Bei einer Europameisterschaft gibt es selten eine leichte Gruppe. Jedes Team muss schon im guten Flow sein, um klare Zeichen setzen zu können. Durch die Corona-Pandemie konnten sich die Nationalmannschaften nicht wie gewohnt auf das Turnier vorbereiten, eine Prognose über die Form anderer Teams abzugeben, ist fast unmöglich. Aber das macht den Wettbewerb auch so unglaublich spannend – ich hoffe auf einen fantastischen Flow!
Auf welche Begegnung freust Du Dich am meisten?
Auf das Spiel gegen den Gastgeber natürlich, egal ob mit oder ohne Zuschauer. Alles, was im Umfeld passiert, entscheiden andere. Wir konzentrieren uns auf unser Spiel, denn nur auf der Platte können wir alles beeinflussen.