Uwe Gensheimer
Als Kapitän bist Du in jeder Krisensituation gefragt
23. Juli 2020
Ein Gespräch mit Uwe Gensheimer über die wohl in jeder Hinsicht turbulenteste Spielzeit der Handball-Bundesliga.
Hättest Du nach dem abgesagten Länderspiel im März gedacht, dass die Saison 2019/20 so zu Ende geht?
Es war zumindest meine Befürchtung. Nach dem DHB-Lehrgang hatten wir noch Trainingstermine mit dem Verein. Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch im März mit Teamkollegen in der Kabine. Wir witzelten noch darüber, dass wir einen vorgezogenen Mannschaftsabend brauchen, um die Spieler gebührend zu verabschieden, die im Sommer unseren Verein verlassen, denn wer weiß schon wie es weitergeht. Die Befürchtung wurde dann leider eine traurige Tatsache.
Dein Club hat auch Corona-Geschichte geschrieben. Kein anderer Handball-Verein hat so viele Infizierte gemeldet, wie die Rhein-Neckar Löwen. Gab es jemanden mit ernsten Symptomen?
Bei den meisten Spielern erinnerte der Verlauf an eine ganz normale Erkältung. Ich selbst hatte im März keinerlei Symptome, doch eine Untersuchung zeigte, dass sich bei mir bereits Antikörper gebildet haben. Da wusste ich, dass mein Reizhusten und die kurzen Fieberschübe nach der EURO20 wohl mit COVID19 zu tun hatten. Im Januar dachte allerdings noch niemand an Corona. Ich trainierte einfach weiter, so wie die anderen auch. Glücklicherweise sind jedem von uns sowohl der schwere Verlauf, als auch die Intensivstation erspart geblieben.
„Unsere Unterstützer sollten weiterhin einen Mehrwert bekommen, auch wenn die Spiele gerade nicht stattfinden.“
Du trägst im Verein und in der Nationalmannschaft die Kapitänsbinde. Hattest Du in der Situation plötzlich zusätzliche Aufgaben?
Als Kapitän und Mitglied im Mannschaftsrat ist man sicherlich in jeder Krisensituation gefragt. Durch die Pandemie war plötzlich kein Spielbetrieb mehr möglich, das bedeutet für die Rhein-Neckar Löwen, wie für jeden anderen Bundesligisten auch, unter anderem den enormen Ausfall der Ticketing-Einnahmen. Wie die Regressforderungen von Dauerkarteninhaber und Sponsoren aussehen, wann und in welcher Form weitertrainiert werden kann oder wie die Spielzeit 2019/20 weitergeht, waren wichtige Punkte, die in mehreren Video-Calls diskutiert wurden.
Was kann eine Mannschaft in so einer Situation ausrichten?
Wir wollten als Team dazu beitragen, dass uns Fans und Sponsoren weiterhin die Treue halten und haben uns verschiedene Aktionen ausgedacht und uns daran beteiligt. Unsere Unterstützer sollten weiterhin einen Mehrwert bekommen, auch wenn die Spiele gerade nicht stattfinden.
Wie konntet Ihr in dieser besonderen Zeit für Fan-Nähe sorgen?
Unsere Social Media-Seiten sind sehr aktiv, jeder konnte mit uns in mehreren Formaten interagieren, an Gewinnspielen teilnehmen oder gemeinsam in Erinnerungen schwelgen. An regulären Spieltagen konnten unsere Fans mit uns über ein Quiz oder Fragerunden in Verbindung treten. Zudem haben die Rhein-Neckar Löwen in der Corona-Hilfe verschiedene Initiativen aktiv unterstützt. Es wurde eine Einkaufshilfe für Seniorenheime organisiert und bei der Tafel kräftig mit angepackt.
Uwe Gensheimer im LAGANDA Hoodie 〉
„Wir mussten unser Restaurant Cornelienhof vorübergehend schließen. Inzwischen sind wir zuversichtlich, dass es für uns bald normal weitergeht.“
Wie läuft es aktuell in der deutschen Nationalmannschaft?
Wir kommunizieren regelmäßig per Video-Call und daten uns über den Stand in den Ligen und bei den Vereinen gegenseitig ab. Auch Alfred Gislason legt großen Wert auf die Kontinuität in der Kommunikation.
Kann man bei der aktuellen Situation Sommerpläne schmieden?
Jeder muss in diesem Jahr viel Spontanität bei allen Planungen mitbringen. Ursprünglich hatte ich eine Tour mit meiner Familie durch Italien geplant, aktuell gehe ich allerdings nicht davon aus, dass das möglich sein wird. Wir planen jetzt um und werden, abhängig davon, welche Lockerungen demnächst passieren, einen Urlaub irgendwo in Deutschland in Angriff nehmen.
Du bist neben Deiner Profikarriere auch noch Unternehmer und Gastronom. Hat Dich die Corona-Krise auch in diesem Bereich getroffen?
Natürlich. Wir mussten unser Restaurant Cornelienhof vorübergehend schließen. Glücklicherweise hat uns der Eigentümer der Räumlichkeiten die Miete für die Zeit erlassen. Die Mitarbeiter konnten wir trotzdem nicht beschäftigen und mussten sie übergangsweise leider in die Kurzarbeit schicken. Inzwischen ist das Restaurant wieder geöffnet und wir sind trotz zahlreicher abgesagter Events zuversichtlich, dass es für uns bald normal weitergeht.
„Mein Körper konnte alles gemütlich verheilen lassen.“
Nimmst Du etwas Positives aus der Krise mit?
Es war auch mal okay, keine Termine zu haben. Die Abende nicht im Bus oder in Hotels, sondern zuhause mit der Familie verbringen zu können. Zu dem Zeitpunkt, als alle Aktivitäten in Deutschland runtergefahren wurden, war ich noch verletzt. Es war ungewohnt und gleichzeitig positiv, keinen Druck zu verspüren zum nächstmöglichen Termin wieder auf der Platte zu stehen. Mein Körper konnte alles gemütlich verheilen lassen.
Und wie sind die vier Teamkollegen, die die Rhein-Neckar Löwen verlassen, letztendlich verabschiedet worden?
Wir haben das nach einem Training in der Kabine, im engeren Kreis und bei Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandsregeln gemacht. Die Umstände waren zwar ungewohnt und nicht perfekt, aber es hat jedem Beteiligten einfach gut getan, dass es – zumindest in dieser Form – überhaupt die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Abschied gab.