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Johanna Stockschläder

Handball ist meine zweite Familie!

24. Oktober 2022

Mit ihrem Team führt Johanna Stockschläder aktuell die Tabelle der Bundesliga an. Die Frauen vom Thüringer HC sind derzeit kaum aufzuhalten, wie auch das Ergebnis des letzten DHB-Pokalspiels eindrucksvoll zeigt. Johanna traf zehnmal, ihr Team erzielte insgesamt sogar 50 Tore.
Nach einer kurzen Pause geht es für „die beste Linksaußen der Liga“, mit der Nationalmannschaft zur EURO 2022. Doch vorher hat sie sich noch Zeit für ein Gespräch mit KempaStage genommen. 

Ihr habt das Pokalspiel auswärts beim TV Aldekerk mit 50:22 gewonnen. Wie kann ein Team 50 Tore in 60 Minuten werfen?
Johanna: Ich will unsere Gegner oder die dritte Liga allgemein nicht schlechtmachen, aber mit dem deutlichen Ergebnis haben selbst wir nicht gerechnet. In der Bundesliga passiert so etwas nicht.

In der Bundesliga ist dein Team, der Thüringer HC ungeschlagen und steht sogar auf Platz eins der Tabelle. Kannst du diese Erfolgswelle jetzt in die Nationalmannschaft mitnehmen?
Johanna: Ich denke, dass es wichtig ist, mit einem guten Gefühl bei der Nationalmannschaft anzukommen. Wenn es im Verein gut läuft, wie beispielsweise nach so einer Siegesserie, dann stärkt das natürlich enorm das Selbstbewusstsein.

Im DHB-Team gab es kürzlich einen Trainerwechsel. Wie gut kennst du den Bundestrainer Markus Gaugisch schon?
Johanna: Persönlich haben wir uns bisher bei zwei Lehrgängen getroffen. Ich verfolge allerdings seine Arbeit mit Bietigheim schon länger und der erste gemeinsame Lehrgang hat uns allen ein sehr gutes Gefühl für die EURO 2022 gegeben. Ein neuer Trainer bedeutet auch immer eine neue Entwicklung. Ich freue mich auf Markus als Bundestrainer und denke, dass er uns die nötigen Impulse für die Zukunft geben kann, damit wir bald vielleicht sogar von Medaillen träumen können.

Die EURO 2022 ist erst dein zweites großes Turnier, du bist inzwischen schon ein fester Bestandteil der Nationalmannschaft und dein Clubtrainer meint, du bist die beste Linksaußen der Liga – wie hast du überhaupt mit Handball angefangen?
Johanna: Ich komme eigentlich aus einer Fußballerfamilie, mein Papa und mein Onkel waren Fußballer und der Sport hat in dem Dorf, wo ich herkomme, immer die Nase vorn. Meine Schwestern und ich haben allerdings irgendwann im jungen Alter beschlossen, an einem Handballkurs teilzunehmen und das hat uns so gut gefallen, dass wir im Anschluss unsere Mutter gebeten haben, uns in einem Verein anzumelden.

„Ein neuer Trainer bedeutet auch immer eine neue Entwicklung.“

Spielen alle deine Schwestern Handball?
Johanna: Wir sind insgesamt fünf Geschwister, ich bin mit zwei älteren und zwei jüngeren Schwestern sozusagen die goldene Mitte. (lacht) Mit Handball haben wir zu Dritt angefangen und waren lustigerweise dann alle relativ schnell auf der Linksaußen-Position unterwegs. Meine jüngere Schwester Laura spielt noch in der dritten Liga und Alicia hat vor eine Weile aufgehört, weil sie die Zeit für ihre Doktorarbeit brauchte.

Gab es nie Konkurrenz untereinander?
Johanna: Konkurrenzdenken gab es unter uns nie! Auch nicht, als ich in der Mannschaft von Alicia ausgeholfen habe, da wurde ich auf Rückraum Mitte gestellt und somit spielte ich ja eigentlich auch für sie.

Was hat dein Vater gesagt, dass seine Kinder lieber Handball als Fußball spielen wollten?
Johanna: Papa liebt den Handball mittlerweile mindestens genauso, wie den Fußball. Er begeistert sich mittlerweile so für unseren Sport, dass er zwischendurch sogar die Mannschaft meiner kleinen Schwester trainiert hat. Für einen Fußballer macht er das wirklich richtig gut!

Du bist dem Handball glücklicherweise erhalten geblieben. Hast du diesen Weg je in Frage gestellt?
Johanna: Es gab sicher mal Momente in meinem Leben, als ich mich gefragt habe, ob der große Aufwand sich wirklich lohnt. Damals muss ich so 15 Jahre alt gewesen sein und stand vor der Entscheidung, professionelle Leistungssportlerin zu werden und Zuhause auszuziehen. Letztendlich habe ich mich für den Sport entschieden und das bis heute nie bereut. Handball hat mein ganzes Leben geprägt, auch außerhalb der Halle.

Was genau meinst du damit?
Johanna: Der Handball hat mir auch beruflich viele Türen geöffnet. Als ich meine Ausbildung gemacht habe oder später, als ich neben dem Sportalltag arbeiten wollte. Ich hatte nie Probleme einen Job zu bekommen.

„Handball hat mein ganzes Leben geprägt, auch außerhalb der Halle.“

Johanna Stockschläder jubelt

Musstest oder wolltest du neben der Handball-Karriere arbeiten?
Johanna: Als Erstliga-Spielerin hast du nicht automatisch das Privileg, dich nur auf deinen Sport konzentrieren zu können. Selbstverständlich musste ich am Anfang meiner Karriere auch arbeiten. Da war ich allerdings immer sehr gerne, zumal ich überall sportbegeisterte Kollegen hatte, die mich in vielen Situationen unterstützt haben. Wenn ich zu einem Spiel musste, durfte ich beispielsweise früher Feierabend machen. Deswegen sage ich immer, dass der Handball alle Türen öffnen kann.

Ist Handball also mehr als Sport für dich?
Johanna: Absolut! Handball ist meine zweite Familie.

Welche Ausbildung hast du gemacht? 
Johanna: Ich habe eine Ausbildung zur Kauffrau im Gesundheitswesen gemacht. Das ist vergleichbar mit einer Industriekauffrau, nur auf die Gesundheitsbranche bezogen. Als ich damit fertig war, wurde ich im Krankenhaus in Bad Wildungen direkt fest angestellt. Nach meinem Wechsel nach Dortmund startete ich wieder in einem Krankenhaus im Bereich Medizin-Controlling, allerdings musste ich dort meine Arbeitszeiten aufgrund der vielen Spiele in mehreren Wettbewerben irgendwann reduzieren.

Gäbe es in Deutschland beim Frauenhandball dänische oder norwegische Verhältnisse, hättest du auch arbeiten wollen?
Johanna: Das habe ich zumindest von meinen Eltern so beigebracht bekommen, dass ich neben dem Sport für alle Fälle noch irgendetwas beruflich machen soll. Wir sind ja keine Fußballer und wenn die Karriere nicht wie geplant läuft, sollte man auf eine Alternative zurückgreifen können. Heute kann ich mich zu 100 Prozent auf meinen Sport konzentrieren, hätte ich mich allerdings mit 18 Jahren gegen eine Ausbildung entschieden, hätte es Zuhause bestimmt Ärger gegeben (lacht).

Du hast schon einiges gewonnen und kannst bereits auf viele Highlights zurückblicken. Gibt es einen Lieblingsmoment in deiner bisherigen Karriere?
Johanna: Die Deutsche Meisterschaft mit Dortmund zu gewinnen, war schon phänomenal. Doch mein absoluter Lieblingsmoment war mein erstes Länderspiel für die deutsche Nationalmannschaft – mit dem Adler auf der Brust.

Bei diesem Länderspiel hast du gleich acht Tore gemacht. Kein schlechter Start!
Johanna: Ja, das war nicht schlecht. Im Anschluss gab es viel Lob vom Trainer und das werde ich bestimmt nie vergessen. Allerdings kann ich als Außenspielerin nur so viele Tore werfen, wenn ich auch die entsprechenden Bälle bekomme. Das ist also alles immer ein Teamerfolg.

„Deswegen sage ich immer, dass der Handball alle Türen öffnen kann.“

Mit 16 Jahren bist du von Zuhause ausgezogen und seitdem ganz gut herumgekommen. Bist du jemand, die sich schnell anpassen kann?
Johanna: Zuerst kam ich nach Leverkusen ins Sportinternat, in dem Alter sicherlich keine einfache Situation. Plötzlich alleine in einer WG zu wohnen, ist für niemand einfach, der von Zuhause einen starken Familienzusammenhalt kennt. Meine Eltern kamen aber jedes Wochenende zum Spiel und sonst haben wir uns auch viel gesehen. Später ist mir kein Neustart mehr schwergefallen, ich war sehr gerne in Dortmund und lebe jetzt super gerne in Ostdeutschland! Die Leute hier sind so offen, nett und hilfsbereit.

Ist es für eine Mannschafts-Sportlerin von Vorteil, wenn man sich seit seiner Kindheit mit vielen Geschwistern engagieren musste? 
Johanna: Wenn du in einer Großfamilie aufwächst, dann lernst du früh, dich in wichtigen Situationen durchzusetzen, du lernst aber auch Teamwork und Kompromisse einzugehen. Schließlich kannst du in dieser Konstellation als Kind nicht einfach spontan verlangen: So, ich will jetzt in den Zoo.

Dein Freund Jannik ist Fußballer und steht in Greifswald, ganz im Norden der Republik, unter Vertrag. Wie oft könnt ihr euch überhaupt sehen?
Johanna: Die 500 Kilometer sind für spontane Treffen zu weit. Dadurch, dass wir beide Sportler sind, haben wir allerdings viel Verständnis füreinander. Wir sehen uns so oft es geht und treffen uns oft auch in Berlin, quasi in der Mitte.

Den November verbringst du auf jeden Fall mit der Nationalmannschaft bei der EURO. Wird dir jemand vor Ort die Daumen drücken? 
Johanna: Das hoffe ich doch! Bei der Weltmeisterschaft 2021 war meine Familie zusammen mit Jannik während der Vorrunde eine komplette Woche in Spanien. Jannik kam dann sogar noch einmal nach Barcelona und überraschte mich während der Hauptrunde. Da wir früher als geplant ausgeschieden sind, war ich bedauerlicherweise einen Tag früher als mein Freund wieder in Deutschland.

Magst du diesen persönlichen Support?
Johanna: Ich kenne das nur so. Ich freue mich immer, wenn meine Eltern, meine Schwestern, mein Freund und mein Onkel dabei sind. Mein Onkel Martin ist übrigens mein größter Fan. Angeblich hätte ich sogar mein Talent von ihm geerbt. Ich bin gespannt, wie weit wir mit dem Team bei der Europameisterschaft kommen und auch darauf, wer von meiner Familie vor Ort auf der Tribüne am lautesten sein wird.

Ani Bonamie