Björgvin Páll Gustavsson:
Der Perfektionist
Ein Gespräch mit Björgvin Páll Gustavsson über das erste „HUH“ im deutschen Handball, das Familienleben in Dänemark und seine Hobbies im Sommer.
Du hast für einige Vereine während deiner bisherigen Karriere gespielt. Hast du rückblickend eine Lieblingsstation?
Am liebsten denke ich an die vier Jahre beim Bergischen HC zurück. Der Verein wird immer einen festen Platz in meinem Herzen haben, denn wir haben viele große Siege und schmerzhafte Niederlagen zusammen erlebt. Arnor Gunnarsson, einer meiner besten Freunde, spielt immer noch dort, so verfolge ich auch noch aus der Ferne sehr intensiv die Spiele der Mannschaft. Ich fiebere regelrecht mit und freue mich für alle Beteiligten, dass die aktuelle Saison so fantastisch läuft.
Wie sieht es mit den anderen Clubs aus?
Ich denke an alle meine bisherigen Stationen sehr gerne zurück. Überall habe ich etwas lernen können. Schaffhausen beispielsweise war auch ein besonderer Verein. Hier haben wir als Team alles gewonnen. Damals hatten meine Frau und ich noch keine Kinder, die Zeit war auch außerhalb der Halle sehr lustig und erlebnisreich.
Du hast gerade zwei Vereine genannt, die unterschiedlicher nicht sein könnten. In Schaffhausen ging es um Titel, beim BHC um den Abstiegskampf…
Das ist mir bewusst. Gegen den Abschied zu spielen, bedeutet eine 100 prozentige Konzentration in jeder Sekunde, denn in jedem Spiel geht es um das sportliche Überleben. Es ist natürlich schön, die Meisterschaft oder Pokale zu gewinnen. Dein Ego freut sich über jeden großen Triumph. Doch über eine ganze Saison gegen den drohenden Abstieg zu spielen, stärkt dich auch mental extrem.
Ist der Fokus in beiden Fällen anders?
Natürlich! Wenn du etwas gewinnst, dann hast du wahrscheinlich alles richtiggemacht und du denkst ganz wenig über irgendwelche Gründe hierfür nach. Doch wie gehst du damit um, wenn du verlierst und diese Niederlage das Aus für dein Team im Oberhaus bedeuten könnte? Abstiegskampf ist nichts für schwache Nerven.
… und wenn man den Verbleib schafft?
Das ist ein unglaublich befreiendes Gefühl!
„Gegen den Abschied zu spielen, bedeutet eine 100 prozentige Konzentration in jeder Sekunde, denn in jedem Spiel geht es um das sportliche Überleben. „
Der BHC hat inzwischen gar nichts mit dem Abstieg zu tun.
Ich weiß, ich muss sagen, dass ich die Spiele meines Ex-Vereins mehr verfolge, als die Spiele der dänischen Liga. Der BHC ist in meinen Augen mehr als ein Verein. Die Löwen sind eine Familie, die alles verdient und hart erarbeitet hat, was gerade in der Tabelle passiert. Der Verein hat meinen großen Respekt, denn der Club hat trotz aller Ergebnisse immer an dem Coach festgehalten – in dem Bewusstsein, dass er zu den Besten Trainern der Liga gehört. Auch in der Geschäftsstelle arbeiten seit Jahren die gleichen Leute und obwohl der Zusammenhalt kaum mit Worten zu beschreiben ist, ist dieses Gefühl ein wichtiger Teil des heutigen Erfolgs.
BHC-Fans sind in der Liga auch für das perfekte „HUH“ bekannt.
Die Tradition entstand nach der Fußball-WM. Dazu muss man wissen, wie nah sich die Sportarten Handball und Fußball in Island sind. Aron Gunnarsson, der Kapitän der Fußball Nationalmannschaft, ist der Bruder von meinem Freund Arnor. Nach der WM wollten die BHC-Fans, dass wir ihnen das richtige „HUH“ zeigen. Wir hatten zunächst Bedenken und wollten uns mit einem billigen Abklatsch der Fußballer nicht lächerlich machen. Doch es hat von Anfang an super funktioniert und die Fans machen das bis heute fantastisch!
Super Club, tolle Fans – 2017 wolltest du trotzdem weg.
Es war eine komplett andere Situation damals. Ich wollte mit 32 Jahren wieder in die Heimat. Meine Tochter sollte in Island zur Schule gehen können und durch diesen Schritt wollte ich auch meiner Frau ihr eigenes Leben zurückgeben. Die Jahre davor hatte meine Karriere die absolute Priorität, das sollte anders werden.
Und dann wurde Karin wieder schwanger.
Unsere Zwillinge kamen schon in Island auf die Welt und wir standen wieder vor einer komplett neuen Situation.
„Du kannst hier auf höchstem Niveau spielen und gleichzeitig für deine Familie da sein. Wir Handballer können hier bessere Menschen sein.“
Ihr seid nach Island gezogen und kurze Zeit später hast du wieder bei einem ausländischen Club unterschrieben.
Als mich Anders Dahl Nielsen aus Skjern anrief, war sein erster Satz: Wir wollen deine Familie und dich in unserem Verein haben. Das hat mich überzeugt. Es ging also nicht nur darum, dass ich auf dem Spielfeld gut funktioniere, es ging auch darum, dass sich meine Familie dort wohlfühlt. Das ist in meinen Augen das wichtigste Argument für einen Club.
Fühlt ihr euch wirklich so wohl?
Absolut. Skjern achtet immer auf die persönliche Situation der Handballer. Auch hier sind wir eine große und glückliche Bagage (lacht). Dass der Fokus auf den Familiensinn und sportlicher Erfolg sich nicht ausschließen, sieht man auf dem Feld. Schließlich spielen wir in der Champions League unter den Besten der Besten.
Viele große Stars haben in den letzten Jahren beim Skjern Handbold unterschrieben. Was macht diesen Club so besonders?
Vielleicht kann ich das mit einem Beispiel verdeutlichen: Wir trainieren jeden Tag von 10 Uhr bis 12 Uhr. Das ist die Zeit, die unsere Kinder in der Schule verbringen. Väter können ihre Töchter und Söhne ganz entspannt in die Schule bringen und dort abholen. Zwischendurch erledigen wir unsere Arbeit. Alles wird aufeinander abgestimmt, du kannst hier auf höchstem Niveau spielen und gleichzeitig für deine Familie da sein. Wir Handballer können hier bessere Menschen sein.
Und wenn ihr zwei Trainingseinheiten habt?
Dann beginnt die zweite Einheit um 13.30 Uhr. Nach dem gemeinsamen Mittagessen verbringen wir die Zeit in der Players Lounge mit Rehabilitation, wir spielen Karten, chillen oder schlafen.
„Mein Dänisch könnte schon besser sein“
Und was passiert mit der heilen Welt nach einer herben Niederlage?
Auch dann ist die Harmonie nicht komplett hin. Statt Straftrainings, Extra-Krafteinheiten und problembeladene Besprechungen schaut der Verein darauf, wie er das Team menschlich wieder auf eine Wellenlänge bringen kann. Wir gehen gemeinsam zum Essen oder besuchen ein Fußballspiel, um menschlich wieder zusammenzurücken und eine negative Phase schnell zu überwinden. Die Stimmung dreht sich automatisch, Probleme werden ins Positive verwandelt.
Warum wird das in Deutschland nie so gehandhabt?
Die Frage habe ich auch schon mal gestellt. Die Antwort, die ich bekam, lautete: Das haben wir immer schon so gemacht.
Verstehst du Dänisch?
Für uns Isländer klingt Dänisch wie eine Mischung aus Englisch und Deutsch. Die Sprache kann ich sehr gut verstehen.
Verstehen dich deine Mannschaftskollegen auch gut?
Eigentlich versteht mich keiner (lacht). Ich spreche einfach in jeder Sprache zu schnell. Mein Dänisch könnte schon besser sein, doch die deutsche Sprache ist noch zu präsent in meinem Kopf. Zum Glück spiele ich hier mit vielen ehemaligen Bundesliga-Profis. Sollte mir etwas auf Dänisch nicht einfallen, würden sie mich dennoch verstehen.
„Torwart zu sein, ist ein sehr komplexer Beruf. Du brauchst eine große Palette an Bewegungen“
Du hast den Ruf eines Perfektionisten. Du sollst in der spielfreien Zeit auch andere Sportarten, wie Joga oder Betonblöcke-Werfen, ausprobieren, um noch besser im Handball zu sein.
Man kann aus jeder Sportart etwas Wichtiges lernen. Torwart zu sein, ist ein sehr komplexer Beruf. Du brauchst eine große Palette an Bewegungen, musst aber auch schnell und für den Gegner besonders präsent sein. Im Sommer versuche ich mit verschiedenen Sportarten gleichzeitig meinen Kopf auszuschalten und fit zu bleiben.
Eine letzte Frage zum Schluss: Wie lange kann man erfolgreich in der Nationalmannschaft spielen?
Diese Frage müsste einer meiner besten Freunde, Gudjon Valur Sigurdsson, beantworten. Im Sommer wechselt er nach Paris und feiert einige Tage später seinen 40. Geburtstag. Er ist fit, hungrig nach Erfolg und ein fantastisches Vorbild für uns alle. Wenn es körperlich und mental passt, ist Alter zunächst nur eine Zahl.
Also kannst du dir auch vorstellen, mit 40 Jahren nach Paris zu wechseln?
Warum nicht? Allerdings würde ich das vorher mit meiner Frau und den Kindern besprechen.
– Ani Bonamie
Weitere Stories und Interviews rund um unsere Athleten und Kempa findest du hier.