Christoph Theuerkauf
Eine absolut runde Geschichte
14. Juli 2021
Christoph Theuerkauf hat seine Kempa-Schuhe an den berühmten Nagel gehängt.
Ein Gespräch mit „Theuer“ über das fulminante Finish seiner großartigen Karriere, die mit dem Gewinn des DHB-Pokals für den TBV Lemgo und einem persönlichen sportlichen Nachschlag, seinem 1.400-sten Tor in der Bundesliga, perfekt zu Ende ging.
Text: Ani Bonamie
Kann man noch spektakulärer aufhören als du?
Ich muss sagen, dass die letzten Wochen tatsächlich ziemlich rund waren (lacht). Wobei das Jahr sehr dramatisch begann, mit verschiedenen gesundheitlichen Themen in meiner Familie, und 2021 neben den Highlights auf dem Spielfeld, auch einige schwere Phasen für mich bereithielt.
Sind mittlerweile alle wieder bei bester Gesundheit?
Glücklicherweise! Und das große private Highlight steht noch aus, meine Frau Jule und ich erwarten das zweite Kind.
Herzlichen Glückwunsch!
Vielen Dank. Im Oktober soll unsere kleine Tochter auf die Welt kommen.
„Wir sind „nur“ der TBV Lemgo, der allerdings Geschichte schreiben konnte.“
Und was ist mit Handball?
Mit dem aktiven Handball ist für mich jetzt endgültig Schluss.
Das hast du 2020 auch schon gesagt.
Das habe ich auch so gemeint. Die ganze Welt hatte im Frühjahr 2020 andere Probleme, das stille Ende meiner Karriere hätte ich nicht schlimm gefunden. Mit dem Abbruch der Saison aufzuhören, das fand ich für so großartige und verdiente Sportler, wie beispielsweise Martin Strobel, viel schlimmer, als für mich selbst.
Dann bist du wieder reaktiviert worden und dein Traum vom Pokalsieg in Hamburg wurde wahr. Oder sollte man statt Traum lieber Ziel sagen? Du hast es ja immerhin vorhergesagt.
Als ich bei der Auslosung 2019 gesagt habe, wir holen den Pokal, konnte man so viele Geschehnisse der Saison 2019/20 noch nicht mal ansatzweise erahnen. Dass es letztendlich geklappt hat, hat mit vielen besonderen Momenten zu tun. Das Final4 musste stattfinden, der Eine musste den letzten Ball halten, der Andere musste ihn fangen, usw. Wenn wir bereits im Vorfeld gewusst hätten, wie man mit Sicherheit ein Pokalfinale gewinnt, hätten wir den Code geknackt und wären die erfolgreichste Mannschaft der Geschichte. Aber wir sind „nur“ der TBV Lemgo, der allerdings Geschichte schreiben konnte.
„Die, die ein Ticket hatten, werden diesen Nachmittag nicht so schnell vergessen. Und ich auch nicht.“
Im Anschluss an das Finalspiel hast du ein legendäres TV-Interview gegeben.
Die Zuschauer haben nur gesehen, dass ich mich von den Fans feiern lasse (lacht). Was man nicht gesehen hat, war, dass ich zuvor während der kompletten Werbeunterbrechung alleine vor der Kamera herumstand. Am Ende der Werbepause kamen die TBV-Fans zu mir, stellten sich auf der Tribüne auf, ließen mich laut hochleben und ich machte mit. Das sah vor dem Bildschirm bestimmt sehr komisch aus.
Das sah viel mehr nach einem Moment aus, den du so schnell nicht vergessen wirst.
Das Gefühl war wirklich überwältigend. Es war schade, dass nur so wenige Zuschauer in der Halle dabei sein durften. Doch die, die ein Ticket hatten, werden diesen Nachmittag nicht so schnell vergessen. Und wie du sagst, ich auch nicht.
Wie viele Nachrichten hast du im Anschluss bekommen?
Ich habe sie nicht gezählt, aber sie waren im dreistelligen Bereich. Über jede Nachricht habe ich mich gefreut, über einige ganz besonders. Doch die schönste Nachricht kam von Jule, die mir ein Video von meinem jubelnden Sohn geschickt hat.
„Ich habe vor der Abreise meinem Sohn versprochen, dass ich den Pokal aus Hamburg mitbringe.“
Wie ging es im Anschluss weiter? Coach Florian Kehrmann hat sich und dem Team für die Rückfahrt sogar Stau auf der Autobahn gewünscht.
Stau hatten wir nicht, dafür aber viel Spaß. Wir haben ein paar Lieder geträllert und jeden einzelnen, Spieler, Trainer, Busfahrer und Physio hochleben lassen. Die Jungs mussten am Sonntag in Nordhorn zwar wieder spielen, doch das Gefühl des Pokalsieges blieb auch in den kommenden Tagen sehr präsent. Wir haben eine kleine Mannschaftsfahrt zum Abschluss der Saison unternehmen können und selbst da haben wir bei dem einen oder anderen Getränk unseren Triumph musikalisch zum Thema gemacht.
Habt ihr den Pokal da auch physisch mitgenommen?
Der Pokal hat nicht nur emotional einen sehr großen Wert, niemand hätte auf eine teure Trophäe aufpassen wollen.
Nach dem Sieg in Hamburg wolltest du allerdings diese Verantwortung tragen – während der „Kapitänsnacht“ mit dem DHB-Pokal…
Das ist richtig. Ich habe vor der Abreise meinem Sohn versprochen, dass ich den Pokal aus Hamburg mitbringe. Als ich ihn Pepe nach dem Aufwachen tatsächlich zeigen konnte, war die Freude meines Sohnes groß. Wir haben logischerweise ein Paar Bilder damit gemacht und jetzt steht die Trophäe da, wo sie hingehört: in der TBV-Geschäftsstelle.
„Es war die überdimensionale Kirsche auf einem Meer von einer Sahnehaube.“
Da hast du jetzt aber wichtige Momente übersprungen.
Welche?
Du sollst in Herrgottsfrühe eure Terrasse zum Rathausbalkon umfunktioniert haben.
Ach so, ja (lacht). Ich würde sagen: Ich habe unseren Sieg laut verkündet. Die Nachbarn waren zunächst über den Lärm an einem Samstag nicht so erfreut, doch dann ging das Ganze schnell in so eine Art „Ganztags-Frühschoppen“ über. Irgendwann kam auch Flo Kehrmann auf ein Bierchen rüber geradelt.
Du hast den Pokalsieg vorausgesagt. Hast du im Anschluss auch Lotto gespielt?
Ich mag nichts dem Zufall überlassen, Lotto ist also nichts für mich.
Mit Handball war aber in Hamburg noch nicht Schluss. Am letzten Spieltag der Saison 2020/21 stand das Heimspiel gegen den Tabellendritten auf dem Programm. Der SC Magdeburg ist dein Heimatverein, wie emotional war diese Begegnung?
Mein letztes Spiel ausgerechnet gegen den Club zu absolvieren, in dessen Trikot ich vor vielen Jahren mein allererstes Spiel bestreiten konnte, war schon sehr krass. So eine Dramaturgie können sich nicht einmal die besten Fernseh-Autoren ausdenken. Zumal das SCM-Trainergespann Benno und Yves zu meinen langjährigsten Wegbegleitern gehören. Dass ich mein 1.400-stes Bundesligator in dem Spiel erzielen konnte, war die überdimensionale Kirsche auf einem Meer von einer Sahnehaube.
„Sie haben ein Überraschungsfest für mich organisiert. Das war schon sensationell und gleichzetig sehr emotional. “
Bei insgesamt 1.000 zugelassenen Zuschauern in der Halle, wie groß war dein eigener Fanblock?
30 Leute waren wegen mir da. Das wusste ich im Vorfeld allerdings nicht und wenn man ehrlich ist, hatte ich gar keine Ahnung, wie dieser Tag abläuft.
Du wusstest nicht ob du spielst?
Flo hat zu meiner Frau gesagt, dass er mit mir plant und so hat Jule zusammen mit dem TBV ein Überraschungsfest für mich organisiert. Ich wusste im Vorfeld weder dass ich spiele, noch hatte ich eine Ahnung, was sonst so passiert. Meine Eltern haben sich angekündigt und wollten mit in die Halle. Dass allerdings am letzten Spieltag meine engsten Freunde, Bekannte und Familie versammelt vor meiner Garage stehen, um mich ein letztes Mal in die Arena zu begleiten und mich Handball spielen zu sehen, davon hatte ich im Vorfeld keine Ahnung. Das war schon sensationell und gleichzeitig sehr emotional.
Was hast du mit deinem letzten Spiel-Outfit gemacht?
Wo das Trikot und die Hose sind, weiß ich nicht. Vielleicht noch in der Wäsche? Die Schuhe habe ich selbstverständlich behalten. Meine Pokal-Sieger-Schuhe, mit roten Papierschnipsel von der Siegesfeier dran, stehen neben den Schuhen von meinem letzten Bundesligaspiel. Beide Paare sind logischerweise von Kempa – und passend zu mir sind es Auslaufmodelle.
„Ich freue mich jetzt schon auf die nächste Spielzeit!“
Dein erster großer Titel war der EHF-Cup mit dem SC Magdeburg. Dank des Pokalerfolgs darf der TBV Lemgo auch international antreten. Was sagst du, wenn dein Verein dich wieder im Kader braucht – würde eine zweite Kirsche auf die Monster-Sahnehaube passen?
Zu einem TBV sagt man sicherlich nicht nein. Doch irgendwann ist es auch gut und jetzt müssen die jungen Spieler ran. Für mich war das ein in jeder Hinsicht perfekter Abschluss. Ich konnte gesund und mit einer Medaille meine letzte Spielzeit abschließen. Warum sollte ich nochmal zurück aufs Spielfeld? Ohne Vorbereitung auf die kommende Saison würde man der Bundesliga körperlich auch nicht gerecht werden können.
Du bereitest dich also auch nicht auf die Saison 2021/22 vor?
Doch! Als Jugendkoordinator und Mitarbeiter der Geschäftsstelle des TBV Lemgo – und glaube mir, ich freue mich jetzt schon auf die nächste Spielzeit!