Björgvin Páll Gústavsson
Die Kirsche auf der Torte!
17. Januar 2022
Islands Torwartlegende Björgvin Páll Gústavsson ist heiß auf die EURO 2022 in Ungarn. Kurz vor seiner Abreise zur Nationalmannschaft haben wir mit dem Keeper über sein neues Leben in Island gesprochen.
Vielen Dank, dass du so kurz vor der EURO 2022 noch Zeit für ein Gespräch findest!
Kein Problem, ich stehe gerade in einer Schlange und habe Zeit zu telefonieren.
Darf ich fragen wofür du anstehst?
Für meine Booster-Impfung! (Lacht) Der Schutz ist nicht nur für einen selbst, sondern auch für alle anderen um mich herum wichtig, vor allem wenn so viele Nationalitäten wie bei einer Europameisterschaft aufeinandertreffen.
Wie hast du die Feiertage verbracht?
Im Kreise meiner Familie und mit viel Essen. In Island wird über die Weihnachtstage genauso viel wie in Deutschland gegessen, auch wenn hier andere Gerichte auf den Tisch kommen. Ab heute allerdings ist die Fresserei vorbei, mein Fokus liegt auf der Nationalmannschaft.
Als Eltern von vier Kindern muss bei euch auch viel Action unter dem Weihnachtsbaum gewesen sein.
Ja, die Feiertage sind nicht immer erholsam, aber sie sind wunderschön. Zwischen Weihnachten und Neujahr haben wir auch noch den ersten Geburtstag meiner jüngsten Tochter gefeiert, bei uns ist also immer viel los.
„Doch ich möchte auch in den nächsten Jahren auf hohem Niveau spielen. Und zu einer langen Karriere gehört meiner Meinung nach immer auch eine gewisse Neugierde dazu.“
Das kann man bei dir aber auch sportlich sagen. Du hast deinen deutschen Lieblingsverein, den Bergischen HC, in Richtung Island verlassen und spieltest schließlich, nach der Geburt eurer Zwillinge, doch zunächst in Dänemark.
Die Zeit in Skjern war überragend. Ich konnte sowohl viel Zeit mit meinen Kindern verbringen, da die Trainingszeiten absolut familienfreundlich waren, als auch auf hohem Niveau mit skandinavischen Legenden wie Bjarte Myrhol, Kasper Söndergaard, Thomas Mogensen oder Anders Eggert Handball spielen. Ich habe in Dänemark viel gelernt.
Was genau?
Du nimmst sowieso aus jedem Club viele Erfahrungen mit. Von Eggi, Mogi & Co. habe ich viel über mentale Stärke und über Handball allgemein erfahren. Die Männer sind zwar nur ein paar Jahre älter als ich, doch ich möchte auch in den nächsten Jahren auf hohem Niveau spielen. Und zu einer langen Karriere gehört meiner Meinung nach immer auch eine gewisse Neugierde dazu.
Schluss im Tor soll ja noch lange nicht sein. Wieso bist du zurück nach Island gegangen?
Wir sind hier nah an der Familie. Ich bin zwar froh, dass meine älteste Tochter in Deutschland geboren ist und schon im frühen Alter verschiedene Sprachen und Mentalitäten kennengelernt hat. Doch mit vier Kindern brauchst du eine gewisse Kontinuität für alle Beteiligte. Die Kinder können nicht Jahr für Jahr aus ihrem Umfeld wie Schule und Freundeskreis rausgerissen werden. Aber auch sportlich habe ich meine Zukunft eher hier, in Island gesehen.
Wie kann man sich dein Profi-Leben in der isländischen Liga vorstellen?
Das sportliche Niveau unter den Erstligisten ist bekanntermaßen nicht so ausgeglichen, wie das in Deutschland ist. Die ersten sechs Teams begegnen sich sportlich zwar auf Augenhöhe, aber die weiteren Mannschaften sind weniger stark und der Spruch „jeder kann jeden schlagen“, trifft in Island für die zweite Tabellenhälfte nicht zu. Der Druck hier ist für mich trotzdem nicht weniger, als in Deutschland oder Dänemark. In meiner Heimat stehe ich als Nationaltorhüter im Fokus der Medien und der Öffentlichkeit. Ich genieße das allerdings und erlebe die Einsätze mit der Nationalmannschaft nicht als kräftezehrende Extra-Belastung, sondern als sportliches Geschenk, sozusagen als Kirsche auf der Torte.
Du bist im vergangenen Sommer von Haukar Hafnarfjördur zum großen Rivalen Valur Reykjavík gewechselt. Darf man das?
Du denkst bestimmt, dass die Fans das einem übelnehmen könnten. Die zwei Teams gehören zu den stärksten des Landes, doch ein Wechsel muss man sich nicht so vorstellen, als ob man in Deutschland von Flensburg nach Kiel geht. Du wirst von den Zuschauern auch nicht ausgebuht, wenn du den Club wechselst. Für mich war hauptsachlich ausschlaggebend, dass Valur viel näher an meinem Zuhause ist und ich finde die Vorstellung reizvoll, im gleichen Verein wie meine Kinder Sport zu treiben.
Ist Valur Reykjavík nicht sogar der größte Verein des Landes?
Doch und deswegen wollen in jedem Wettbewerb, im Handball, Fußball und Basketball, alle immer den Favoriten ärgern und Valur schlagen. Das macht mir natürlich viel Spaß.
Denkst du, dass Reykjavík deine letzte Station für die nächsten Jahre wird?
Ich habe schon mehrere Angebote großer Vereine ausgeschlagen, weil ich meinen Platz hier sehe. Mein Traumverein Barcelona hat mich allerdings noch nicht angerufen. Sollten die sich melden, komme ich womöglich in die Bredouille. (Lacht)
„Ich genieße das allerdings und erlebe die Einsätze mit der Nationalmannschaft nicht als kräftezehrende Extra-Belastung, sondern als sportliches Geschenk.“
Für die Nationalmannschaft spielst du seit fast 20 Jahren. Bist du trotzdem noch „on Fire“ für die EURO 2022?
Auf jeden Fall! Wir haben mit Portugal und dem Gastgeber Ungarn die spannendste Gruppe! Wir kennen uns alle bestens aus den letzten Tournieren und haben große Ambitionen weiterzukommen. Wenn man sich allerdings die Liste der möglichen Gegner in der Hauptgruppe anschaut, bekommt man bei den großen Handball-Nationen fast Angst.
Gibt es ein gemeinsames Ziel?
Wie immer, wollen wir unter die besten zehn Teams kommen. Wir sind bei den letzten Meisterschaften hinter unseren Erwartungen zurückgeblieben und wollen diesmal statt große Ansagen zu machen, lieber Spiel für Spiel schauen. Wir haben eine gute Truppe und mehrere bekannte Torschützen, die Chancen stehen also gut.
Hast du als Alterspräsident im Nationalteam zusätzliche Aufgaben?
Wenn du ein Trikot mit der Flagge deines Landes anziehst, und die komplette Aufmerksamkeit der Medien auf dein Team gerichtet ist, hat das für jeden Einzelnen eine große Bedeutung. Du willst deine Heimat, deine Eltern, deine Freunde stolz machen und entwickelst eine enorm hohe Erwartung an dich selbst. Wie man mit diesem Druck gut umgeht, diese Erfahrung kann ich nach so vielen Jahren den jungen Spielern gut vermitteln.
Du bist nicht nur in Island, sondern auch in deiner ehemaligen Wahlheimat Wuppertal eine Legende. Über welches Paket aus Deutschland freust du dich immer noch besonders?
Über Kempa-Schuhe freue ich mich immer besonders! Erst vor ein paar Tagen habe ich ein Video über das Kempa-Shooting mit Pascal Hens und den Gille-Brüdern aus 2011 angeschaut und mich gefragt, ob es noch jemanden gibt, der schon so lange zu den Kempa-Athleten zählt wie ich. Post von Kempa ist immer willkommen, sonst muss man mir nichts schicken. Viel mehr freue ich mich über Besuch aus Deutschland. Das Beste an einer langen internationalen Karriere sind nicht nur die Titel, das sind die Menschen, die du auf dem Weg in dein Herz schließen kannst.
– Ani Bonamie