Andreas Wolff
In guten wie in schlechten Zeiten
aus der Handball Inside #45
Andreas Wolff hat eine extreme Zeit hinter sich. „Himmelhoch jauchzend“ und zu Tode betrübt beschreibt wohl ganz gut sein Lebensgefühl in den letzten zwei Jahren. Ein Gespräch.
Sie konnten mit der Nationalmannschaft souverän das Ticket zur Weltmeisterschaft 2022 lösen, herzlichen Glückwunsch!
Andreas Wolff: Vielen Dank! Mich hat es überrascht, wie stark die Färöer aufgetreten sind. Viele haben von uns erwartet, dass wir gegen das relativ unbekannte Team in lockerer Manier einfach so durchmarschieren.
Schließlich rückten die Färöer im Wettbewerb auch erst für das Team Belarus nach.
Wolff: Wir wussten im Vorfeld nicht viel über dieses Team, das WM-Ticket war für uns aber alles andere als geschenkt. Noch mehr als die Färöer haben mich allerdings unsere Jungs beeindruckt. Viele von denen haben ja kaum eine Handvoll Länderspiele auf dem Kerbholz, gerade diese jungen Spieler haben dem Trainer, dem Publikum und der restlichen Mannschaft eindrucksvoll gezeigt, wie viel Bock sie auf das Trikot der Nationalmannschaft haben und wie stolz sie sind, für Deutschland zu spielen.
Das Hinspiel der Qualifikation fand in Ihrem ehemaligen sportlichen Wohnzimmer statt. Sind für Sie die Spiele in Kiel immer noch besonders?
Wolff: Gleich mein erstes Champions League-Spiel mit Kielce führte mich im Herbst 2019 in die Wunderino Arena, diese Begegnung war natürlich extrem emotional. Auch jetzt war der Besuch speziell, erst in der Kabine habe ich realisiert, dass seit meinem letzten Besuch in Kiel bereits drei Jahre vergangen sind. Ich war zwar nicht zu Tränen gerührt, das Wiedersehen mit dem ganzen THW-Umfeld war dennoch schön.
Sie zeigten sich in Kiel in glänzender Form, gleichzeitig wirkten Sie aber auch nachdenklich. Ist die Zeit des „Big Bad Wolff“, der auch gerne laute Sprüche klopft, vorbei?
Wolff: Ich kann diese Art Öffentlichkeit, die ich teilweise erfahren habe, nicht mehr gebrauchen. Sie schafft während eines Turniers für die ganze Mannschaft nur Ablenkung. Wenn meine Teamkollegen dauernd darauf angesprochen werden, was ihr Torwart schon wieder rausgehauen hat – das ist meist kontraproduktiv. Ich rede immer noch gerne und spreche auch gerne wichtige Dinge an, doch weder die eigene mentale Gesundheit noch der Sport sollten darunter leiden. Der Handball sollte immer im Fokus stehen.
Die Distanz zu den Medien hat also nichts damit zu tun, dass Sie nicht „einstecken“ können?
Wolff: Damit habe ich kein Problem. Konstruktive Kritik ist immer in Ordnung, das muss jemand wie ich, der oft kontroverse Standpunkte vertritt, in Kauf nehmen. Doch in der Berichterstattung über meine Person wurde in der Vergangenheit die viel zitierte Gürtellinie nicht immer berücksichtigt. Dass ich dann dem gleichen Medium, das mich persönlich angreift, keine gut gelaunten Interviews gebe, muss man mir eingestehen. Ich habe mich längst daran gewöhnt, zu polarisieren, doch in der letzten Zeit habe ich mich bewusst ein wenig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.
„Ich habe mich längst daran gewöhnt, zu polarisieren.“
Zu Ihrer Person gab es auch sehr viele euphorische Schlagzeilen.
Wolff: 2016 haben wir Handballgeschichte geschrieben und daran war ich nicht unbeteiligt. Erfolg ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Mit dem Licht der Aufmerksamkeit wird auch der Schatten hinter dir größer. Das kann sicherlich auch Uwe Gensheimer bestätigen, der die Linksaußen-Position über ein Jahrzehnt international geprägt hat. Wir alle haben von ihm – in der Nationalmannschaft wie auch im Verein – handballerisch unvorstellbare Dinge gesehen. Wenn aber das Leistungsniveau nicht in jedem Spiel gleich „wie von einem anderen Stern“ ist, hagelt es in den Medien sofort Kritik. Ohne mich mit Uwe vergleichen zu wollen, denke ich, dass bei mir das gleiche Phänomen eingetreten ist. Nüchtern betrachtet konnten wir bei meinem ersten Turnier einen wichtigen Titel gewinnen und von den Olympischen Spielen 2016 als Medaillen-Gewinner heimkehren. Seitdem ist es uns noch nicht gelungen, den ganz großen Erfolg zu wiederholen, wir arbeiten allerdings hart daran!
Als Sie vorhin über mentale Gesundheit sprachen, was meinten Sie genau?
Wolff: Für mich war ein ganzes Jahr komplett für die Tonne. Dazu haben sowohl sportliche als auch persönliche Gründe beigetragen. Der Mix aus der katastrophalen WM, das CL-Spiel Kielce gegen Nantes, das schlechte Abschneiden in der Champions League und dabei meine eigene suboptimale Leistung zogen sich wie ein roter Faden durch 2020/21 und fühlten sich wie eine Spirale voll mit Negativ-Ereignissen an. Aus diesem Abwärtstrend kam ich irgendwann mental nicht mehr heraus.
Und die Pandemie hat die ganze Welt auf den Kopf gestellt …
Wolff: Das kam noch dazu. Saisonabbruch, ganze Länder unter Quarantäne und Ausgangssperre gehören auch nicht zu den Lieblings-Szenarien eines Profisportlers. Wahrscheinlich hat mich auch die allgemeine Ungewissheit mit runtergezogen. Ich habe es zwar geschafft, in meiner Wohnung zu trainieren, doch über sechs Wochen im Winter allein zwischen den eigenen vier Wänden Hanteln zu heben, ist wirklich keine optimale Vorbereitung auf ein Turnier. Dann wurde ich mit Corona infiziert und musste selbst erleben, wie diese Krankheit Menschen verunsichern kann. Bei meinem ganz normalen Fitness-Programm war ich plötzlich komplett außer Atem. Kein Geschmack im Mund, kein Geruch in der Nase und wie’s dann so ist, ging im Dezember 2020 auch noch die Heizung in meiner Wohnung kaputt …
Das klingt hart.
Wolff: Ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, der sich selbst enorm hochpushen, aber auch extrem runterziehen kann. COVID19 kennt keine Gesetze, das musste ich akzeptieren. Viele Handballer haben die Infektion nicht einmal gespürt, mich hat die Krankheit umgehauen und so beeinflusst, dass ich letztlich anfing, an mir selbst zu zweifeln. Physische Probleme führten zur psychischen Verunsicherung, was wiederum gleich die Körpersprache beeinflusste. Ich blieb gefühlt dauernd hinter meinen eigenen Erwartungen zurück, und das hat alles zusätzlich noch schlimmer gemacht. Nur mit harter Arbeit konnte ich schließlich diesen Teufelskreis durchbrechen.
„Dann wurde ich mit Corona infiziert und musste selbst erleben, wie diese Krankheit Menschen verunsichern kann.“
Was brauchen Sie, um auf dem Feld die beste Version Ihrer selbst zu zeigen?
Wolff: Das Selbstvertrauen muss in erster Linie stimmen. Dann kannst du konzentriert stehen, warten und auf die Bälle reagieren. Ich bin trotz meiner Größe sehr beweglich, das erlaubt mir, Dinge abzurufen, die nicht jeder kann. Wenn ich diese innere Ruhe allerdings nicht habe, dann nützt mir meine Reaktionsschnelle nichts. Das Torwarttraining beim DHB mit Mattias Andersson und im Club mit Tomasz Blaszkiewicz hilft mir allgemein viel. Wenn also das Selbstvertrauen und die Technik stimmen und ich auch noch richtig ins Spiel komme, dann bin ich nicht leicht zu stoppen (lacht).
Aus dem polnischen Winter ging es im Januar 2021 in die sonnige Stadt Kairo. Waren Sie bei der WM fit?
Wolff: Ich kam mehr oder weniger direkt aus der Isolation zur Nationalmannschaft, das müsste die Frage beantworten. Andere Spieler hatten sicherlich Ähnliches erlebt. Diese WM hat den Eintrag in die Geschichtsbücher in erster Linie wegen der besonderen Umstände verdient. Die wichtigste Frage in Ägypten lautete: Wie schaffen es die Spieler, halbwegs gesund über das Turnier zu kommen? Zusammenfassend muss man sagen: Der Sport geriet in den Hintergrund und war hier nicht in der Lage, von den Alltagsproblemen abzulenken.
Die Mannschaft blieb allerdings gesund, was man über die EURO 2022 nicht sagen kann. Das deutsche Team wurde sogar Corona-Meister.
Wolff: Das stimmt. Keine andere Nation hatte so viele Ausfälle wie wir. Und schon wieder ging es um Ansteckung, Erkrankung und Pandemie …
… und um Isolation.
Wolff: Ja, „Quarantäne“ war schnell mein Lieblingswort.
Sie standen von Anfang an im Kader der Nationalmannschaft und sollten im dritten EM-Spiel, gegen Polen, zeigen, wo der Hammer hängt …
Wolff: Auf diese Begegnung mit meinen Club-Kollegen aus Kielce hatte ich mich so unfassbar gefreut! Ich kam abends aus der Dusche, als mich das positive Test-Ergebnis erreichte, und ab dann schaute wortwörtlich nur noch in die Röhre, wenn ich ein Handballspiel sehen wollte. Die EM war somit sehr kurz für mich, es gab aber auch einen positiven Aspekt: Es war die erste Europameisterschaft, bei der ich ungeschlagen blieb (lacht).
Wie lange dauerte die Quarantäne diesmal und wie haben Sie die Zeit totgeschlagen?
Wolff: Ich dachte damals, dass ich mich nach ein paar Tagen wieder freitesten kann und ließ mir von unserem Fitnesstrainer ein Programm zusammenstellen. Für die einfachere Kommunikation gründeten wir, die Nationalspieler, die außer Gefecht waren, eine „Corona-WhatsApp-Gruppe“. Kurios war, wie schnell diese Chat-Gruppe, die anfangs aus vier Menschen bestand, gewachsen ist. Am Ende waren wir knapp 20.
Freitesten konnten Sie sich aber nicht.
Wolff: Ich absolvierte mein tägliches Torwart-Training trotzdem fleißig weiter. Stellte die Betten um, machte mit Widerstand schnelle Schritte und absolvierte ein Lauftraining, in dem ich in meinem Zimmer jeden Tag eine Stunde herumlief. Irgendwann schrieb Marcel Schiller die Frage in die WhatsApp-Gruppe, ob wir auch die ganze Zeit das laute Poltern hören.
Was haben Sie geantwortet?
Wolff: Sorry Marcel, das bin ich.
„Ich absolvierte ein Lauftraining, in dem ich in meinem Zimmer jeden Tag eine Stunde herumlief.“
Wie ging es nach neun Tagen in Bratislava für Sie weiter?
Wolff: Mit einem DHB-Krankentransport bin ich nach Leipzig gebracht worden, wo ich in mein vollgetanktes Auto stieg und nach Kielce fuhr. Zwischendurch musste ich anhalten und den Tank mit Benzin aus dem Kanister füllen. Das war mitten in der Nacht auf einem verlassenen Rastplatz. Mit COVID19 konnte ich ja nicht einfach irgendwo anhalten und tanken.
Wie kam Ihr Wagen überhaupt nach Leipzig?
Wolff: Meine Freundin Samira fuhr ihn da hin, sie stellte auch die Benzinkanister ins Auto.
Wie lautete Ihr Fazit zu dieser denkwürdigen EM im Anschluss?
Wolff: Wir haben darüber auch viel in Kielce gesprochen. Die Bundesliga hat bei der EURO ihre Stärke gezeigt. Nachdem die ersten sieben in Quarantäne kamen, konnte Al-fred Gislason weiter aus dem Vollen schöpfen und Spieler auf Top-Niveau nachverpflichten. Die Qualität der nachnominierten Mannschaft mit Namen wie Bitter, Drux, Reichmann oder Wiede, auch wenn sie aus dem Urlaub kamen, stand dem ersten Team in nichts nach. Unter den Umständen haben es alle Beteiligten sehr gut gemacht – und Teil eines 35-Mann starken EM-Aufgebotes zu sein, passiert nicht oft im Leben.
Die WM 2023 findet in Polen und Schweden statt, sind Sie am 22. Juli bei der Auslosung in Katowice dabei?
Wolff: Noch wurde ich nicht gefragt, sicherlich wäre ich schon aufgrund meiner Sprachkenntnisse prädestiniert.
Wie gut ist Ihr Polnisch?
Wolff: Talant Dujshebaev legt großen Wert darauf. Wir sind angehalten, im Team Polnisch zu sprechen. Ich könnte vielleicht nicht anspruchsvolle Gedichte fehlerfrei übersetzen, aber wenn die Gespräche nicht zu abstrakt sind, kann ich auf Polnisch durchaus mitreden.
„Unser klares Ziel ist es, die Trophäe wieder nach Kielce zu holen.“
In welcher Stadt würden Sie gerne mit Deutschland die WM spielen?
Wolff: Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich gerne unbedingt in Krakau spielen. Wir haben gute Erinnerungen an diese Halle und für die Fans aus Deutschland ist die Anreise auch relativ entspannt.
Gibt es schon eine Art WM-Fieber in Polen?
Wolff: Das kann man sagen, die Jungs sind heiß, der Verband ist heiß und es sind auch schon mehrere Werbeclips im TV angelaufen. Die polnische Nationalmannschaft rechnet sich gute Chancen aus und diese Erwartung befeuert allgemein die Vorfreude. Das merkt man auch im Verein.
In der eigenen „Super-Liga“ ist Ihr Team ungeschlagen. Ist das nicht langweilig?
Wolff: Ja (lacht). Nach mehreren Jahren in der Bundesliga kann ich nicht das Gegenteil behaupten. Das Niveau in der polnischen Liga ist nicht vergleichbar mit dem in Deutschland. Gleichzeitig haben wir jedes Jahr den Anspruch, als eines der besten Teams der Welt das Ticket nach Köln, zum EHF Champions League FINAL4, zu lösen. Die Meisterschaft haben wir dieses Jahr selbst unnötig spannend gemacht, als wir uns gegen Plock nicht richtig absetzen konnten. In Polen wird die Meisterschaft im direkten Duell entschieden, das Liga-Spiel gegen Plock haben wir nur knapp gewonnen, unser Vorsprung ist momentan ein einziges Tor.
Ist die Reise nach Köln in Kielce ein festes Saisonziel?
Wolff: Ich denke, dass am Anfang der Saison acht bis zehn Clubs dieses Ziel fest vor Augen haben. Neben den Dauergästen wie Barcelona oder Kiel haben auch Teams wie Porto oder Montpellier diesen Anspruch und auch eine unfassbar hohe Qualität, die diese Zielsetzung absolut rechtfertigt. Die EHF Champions League genießt in Polen einen sehr hohen Stellenwert. Unsere Fankultur ist vergleichbar mit der aus Veszprém oder Celje, die Leute sind handballverrückt und wollen knappe und spannende Spiele sehen.
Sie zeigen sich aktuell in einer fantastischen Form, Ihr Team zog souverän ins Halbfinale der EHF Champions League ein. Was haben Sie in Köln vor?
Wolff: Insbesondere im Rückspiel gegen Montpellier haben wir einen souveränen Auftritt hingelegt. Gleichzeitig ist es aber so, dass in Köln die stärksten Teams der Welt antreten und jeder dort die gleiche Chance auf den Sieg hat. Unser klares Ziel ist es, die Trophäe wieder nach Kielce zu holen.
Kielce sorgte schon einmal 2016 für ein Handball-Wunder, als das Team im Finale den Favoriten Veszprém ausschalten konnte.
Wolff: Das war ein großer Tag für den polnischen Handball und für unsere Clubgeschichte. Wir haben ein paar Spieler unter uns, die wissen, wie sich ein Champions League-Sieg anfühlt. Andere wiederum reisen dieses Mal zum ersten Mal zum FINAL4. Für mich wird es eine Premiere – und ich freue mich unfassbar darauf!
Damals saßen Sie in Köln als Zuschauer im Publikum. Haben Sie gedacht, dass Sie irgendwann ein Teil des großen Spektakels sein werden?
Wolff: Auf einen Neun-Tore-Rückstand könnte ich gut verzichten (lacht). Natürlich habe ich schon damals gehofft, irgendwann als Spieler an diesem Event teilzunehmen. Glücklicherweise ist es endlich soweit.
Der Bart ist nach vielen Jahren immer noch Ihr Markenzeichen. Für welche Wette würden Sie den denn abrasieren?
Wolff: Das ist eine schwierige Frage. Am Anfang der Saison haben wir in der Mannschaft besprochen, dass wir uns die Haare in Blau-Gelb färben, wenn wir die EHF Champions League gewinnen. Den Bart würde ich dann natürlich auch nicht verschonen.
Zita Newerla