© DIENER-Eva Manhart

Nationalmannschaft Österreich

Die Party geht weiter

Aus der Handball Inside Ausgabe 2|2024

30. April 2024

Das Nationalteam aus Österreich hat die EURO 2024 gerockt. Der Hype um die derzeit erfolgreichste Mannschaft des Landes hält auch nach dem verpassten Olympiaticket an.

Das Spiel ist längst zu Ende. In der Mixed Zone, wo kurz zuvor verschwitzte Handballhelden artig Interviews gaben, brennen noch die Lichter. Doch das war’s auch schon. Auch die letzten Journalisten haben Laptops, Schreibblöcke und Mikrofone eingepackt und das Sicherheitspersonal scheint sich in den Feierabend verabschiedet zu haben. Weit und breit ist niemand zu sehen. Leise ist es hinter den Kulissen der ZAG arena Hannover dennoch nicht. Aus dem Kabinengang dröhnt laute Musik und mehrere Männerstimmen begleiten Falcos Evergreen im Chor: „Der Kommissar geht um. Er wird dich anschau’n und du weißt warum. Die Lebenslust bringt dich um. Alles klar, Herr Kommissar?“

Bei den Österreichern ist Party. Schon wieder. Gerade haben die Männer um Kapitän Nikola Bilyk ihr Qualispiel für Paris 2024 gegen das Team aus Algerien gewonnen. Und mit dem Ergebnis von 41:25 Toren zudem ein deutliches Statement abgegeben.

 „Dass wir zwei Spiele später mit einem Punkt in die Hauptgruppe einziehen, hätten wir zuvor nicht einmal zu träumen gewagt.“

Der Weg bis zum Qualifikationsturnier in Hannover war spektakulär und führte über die EHF EURO 2024. Dass sie als Team mal so weit kommen und um das Olympiaticket kämpfen, damit hat von den Österreichern Anfang Januar vermutlich niemand gerechnet. „Wir haben als Ziel ausgegeben, das EM-Auftaktspiel gegen Rumänien zu gewinnen und dann zu schauen, was passiert“, sagt Ex-Bundesligaprofi Robert Weber über die EURO 2024. Der 38-Jährige, der aktuell bei Bärnbach/Köflach in Österreich unter Vertrag steht, ist der Dienstälteste in der Mannschaft. „Mit Spanien und Kroatien waren gleich mehrere Titel-Anwärter in unserer Gruppe. Dass wir zwei Spiele später mit einem Punkt in die Hauptgruppe einziehen, hätten wir zuvor nicht einmal zu träumen gewagt.“ Es sei einfach verrückt, schüttelt Weber stolz den Kopf. Nikola Bilyk hat vor allem das Spiel gegen Spanien in bester Erinnerung. „Da sind wir an einer Mannschaft vorbeigezogen, die in all den Jahren jedes Mal um Medaillen gespielt hat. Es war ein unglaubliches Highlight für uns, daran werde ich mich auch noch in vielen Jahren zurückerinnern.“

Wie dieser Erfolg möglich war? „Unser Zusammenhalt im Team hat eine sehr große Rolle gespielt. Wir haben eine gute Mannschaft, die immer an das kleine Wunder geglaubt hat, und jeder Einzelne ist ohne Wenn und Aber bereit, sich für Österreich den Hintern aufzureißen.“ Mit viel Leidenschaft, Disziplin und Ruhe im Spiel ließen sich die Männer nicht von ihrem Weg abbringen. „Wir haben nicht immer den schönsten, dafür aber effektiven Handball gezeigt. Der Einzug in die EM-Hauptrunde war absolut verdient“, resümiert Kapitän Bilyk. Dass Österreichs Handballer gerade ihren Traum leben, konnte schon im Januar jeder sehen. Sie hatten auf und neben dem Spielfeld einfach unbändigen Spaß. Bei jedem Sieg und hart erarbeiteten Punkt „brüllten“ die Männer in der Kabine, im Bus oder vor dem Teamhotel lauthals ihre komplette Playlist runter und lagen sich bei den Songs „Angel“ oder „Ain’t No Mountain High Enough“ in den Armen.

 „Wir haben eine gute Mannschaft, die immer an das kleine Wunder geglaubt hat.“

© DIENER-Eva Manhart

„Wir sind die Färöer der Hauptrunde“, eröffnete Ales Pajovic die erste Pressekonferenz in Köln, nachdem seine Mannschaft auch die bis dahin ungeschlagene ungarische Mannschaft bezwingen konnte. Gemeint hat er nicht nur den Überraschungsfaktor des Teams und die Fähigkeit, auch Favoriten stürzen zu können. Mit dem Satz beschrieb der Coach auch den großen Hype, den seine Männer in der Heimat entfacht hatten. Das ganze Land hing vor dem Fernseher, sogar beim legendären Ski-Event, beim Nightrace in Schladming, gab es Public Viewing und Österreichs Handballer hatten plötzlich ein Abo auf die Titelseite der Kronen-Zeitung.

„Die Begeisterung, die die Jungs ausgelöst haben, ist kaum zu beschreiben“, erzählt Patrick Fölser, Sportdirektor des Österreichischen Handballbundes, „die Hallen sind voll und der staatliche Sender überträgt alle Spiele.“ Die Europameisterschaft sollen insgesamt 2,5 Millionen Menschen in Österreich, also mehr als ein Viertel der Bevölkerung, gesehen haben, und auch bei den Spielen zur Olympiaqualifikation liefen die Fernseher heiß. „Die Begegnung mit Deutschland verfolgten 450.000 Zuschauer“, so Fölser, „plötzlich interessieren sich Menschen für die Sportart, die bisher überhaupt noch nie etwas mit Handball zu tun hatten.“

„Das Team hat das große Interesse natürlich auch schon während der EM gespürt“, berichtet Markus Riedlmayer, Kommunikationschef der Nationalmannschaft. „Bei jedem Spieler sind quasi über Nacht die Follower-Zahlen gestiegen, und ich durfte noch mehr lästig sein, als ich das sonst bin, weil wir sehr, sehr viele Anfragen von den Medien bekommen haben.“ Eine ganz „große Nummer“ waren das ZIB 2-Interview mit Überperformer Constantin Möstl, geführt von ORFLegende Armin Wolf, und der musikalische Moderationsauftritt von Sebastian Frimmel und Tobias Wagner. Durch die Bank weg wurden alle Akteure in sämtliche Sendungen eingeladen, auch in solche, die ansonsten mit Sport im Allgemeinen sehr wenig zu tun haben. „Schon in 2020 haben unsere Handballer einen Hype losgetreten, 2024 ist der gefühlt noch viel größer“, berichtet Riedlmayer. Wo Licht ist, sei allerdings auch oft Schatten. Denn die aktuelle Infrastruktur scheint der großen Nachfrage noch nicht gewachsen zu sein. „Das betrifft nicht nur den Handball, auch Basketball und Volleyball haben das Problem: In Österreich gibt es viel zu wenige Hallen.“ Das ginge so weit, dass in einigen Regionen Kinder abgewiesen werden müssen, weil keine Trainingszeiten zur Verfügung gestellt werden können. Patrik Fölser berichtet sogar über Vereine in Wien, die vier Trainingseinheiten in der Woche in vier unterschiedlichen Trainingshallen absolvieren müssen. Hallenflächen und Trainingszeiten seien bekannte Baustellen auf dem steinigen Weg zu einer besseren Betreuung der Handball-Talente.

 „Nach der EM wollte jeder über Handball sprechen, Kinder strömen in die Hallen und wollen plötzlich unseren Sport ausprobieren.“

GROSSES INTERESSE

Trotz großer Herausforderungen scheint die Handball-Familie in Österreich kontinuierlich zu wachsen. Die Trainerkurse sind komplett ausgebucht, Nachfrage steigend. Und auch beim Schiedsrichter-Nachwuchs würde sich jede Menge tun, zumal der ÖHB für alle U15-Spielerinnen und -Spieler einen Regelkurs eingeführt hat, bei dem auch die Rolle des Schiedsrichters besonders beleuchtet wird. Sollte es also für eine Profikarriere nicht reichen, muss niemand alle Handball-Ambitionen aufgeben. „Wichtig wäre, dass die Schulen bereit sind, mehr Turnsäle zur Verfügung zu stellen“, resümiert Riedlmayer.

Jemand, der sich in diesen Turnsälen bestens auskennt, ist Ex-Bundesligaprofi Raul Santos. „Er ist inzwischen als Trainer in mehreren Schulen in der Steiermark unterwegs“, erzählt Bilyk. „Raul berichtet von einem regelrechten Handball-Wahnsinn. Nach der EM wollte jeder über Handball sprechen, Kinder strömen in die Hallen und wollen plötzlich unseren Sport ausprobieren.“ Das große Interesse begeistert die Spieler – und die Spieler begeistern weiter die Handballwelt. „Wir wissen natürlich, dass wir nicht Dänemark sind und dass wir noch viele Schritte gehen müssen. Aber wir wollen uns in diese Richtung bewegen und uns unter den besten zehn Teams etablieren“, sagt der Kapitän kämpferisch. Wie gut die Österreicher jetzt schon sind, zeigt auch, dass mit Constantin Möstl, Sebastian Frimmel, Lukas Hutecek, Robert Weber, Tobias Wagner und Kapitän Bilyk gleich sechs Akteure der Nationalmannschaft für das All-Star-Team der EURO 2024 nominiert wurden. Und laut Patrick Fölser haben diese Jungs, die ein sehr homogenes Bild abgeben, ihren Zenit noch längst nicht erreicht.

Für das Ticket nach Paris hat es diesmal dennoch nicht gereicht. Bei der Olympia-Quali in Hannover konnten die Österreicher die Kroaten nicht mehr ärgern und verloren dann im Anschluss knapp das „Endspiel“ gegen Deutschland. Die ganz große Sensation blieb somit aus. „Aber auch nach dem letzten Spiel gab es Musik in der Kabine“, erzählt Bilyk. „Sie war nicht besonders laut, aber sie war da.“ Die Männer sollen sich auch nach Niederlagen keinesfalls anschweigen. Das ist etwas, was Coach Pajovic seiner Mannschaft vorlebt und was dem Team auch guttut. „Alleine, dass wir die Qualifikation spielen konnten, ist für uns ein unfassbarer Schritt nach vorne.“ Nach der Einschätzung des Kapitäns geht der Hype also auf jeden Fall weiter. „Wir haben uns sehr gut präsentiert, der Unterschied zu großen Teams ist deutlich kleiner geworden und in ein paar Wochen schon geht es für uns um die WMQualifikation.“