Renars Uscins

The Next Generation

Aus der Handball Inside #52

05. September 2023

Renars Uscins führte die U21-Auswahl als Kapitän zum gefeierten Weltmeistertitel. Im Interview berichtet der Linkshänder über eine sehr intensive Zeit und verrät, wie er über den Weg der Talente denkt.

Nach dem letzten Bundesligaspiel freuen sich die meisten Handballer auf ihren Sommerurlaub. Für Sie ging es ohne Pause mit Handball weiter.
Renars: Es stand die Heim-WM an, so war meine Vorfreude wesentlich größer als die Enttäuschung darüber, dass die Sommerpause diesmal recht kurz ist. Wir konnten uns mit den Recken am letzten Spieltag den europäischen Qualifikationsplatz sichern, das ist normalerweise der Moment, wo sich die Anspannung nach einem spannenden Saison-Endspurt auflöst. Stattdessen war eine schnelle Umstellung vom Bundesligabetrieb auf Nationalmannschaftsmodus gefragt.

Wie viel später haben Sie sich der Nationalmannschaft angeschlossen?
Renars: Gleich am nächsten Tag. Zuvor fand für mich der Saisonabschluss mit meinem Team in lockerer Runde während der Rückfahrt mit dem Mannschaftsbus aus Stuttgart statt (lacht).

Wie schnell kann man nach den kräftezehrenden Spielen der Liga den Schalter umlegen?
Renars: Egal, wie platt man sich fühlt, wenn du die Kollegen der Nationalmannschaft triffst, gibt es immer einen neuen Impuls. Ein komplett anderes Umfeld und ein anderer Wettbewerb setzen plötzlich Kräfte frei. Ich habe mich sehr gefreut, die Jungs zu sehen, und wir alle waren sehr schnell bereit für die Heim-WM.

Es war ihr letzter Auftritt mit einer sehr erfolgreichen U 21-Nationalmannschaft. Wollten Sie es der Handballwelt nochmal richtig zeigen?
Renars: Die Trophäe war natürlich von vornherein unser großes Ziel. Aber wir wollten auch guten Handball spielen, und das ist uns überzeugend gelungen. In der Vorrunde sind wir gut ins Turnier gekommen und in der Hauptrunde blieben wir auch gegen starke Gegner wie Frankreich und Kroatien ungeschlagen.

Da waren auch enge Spiele dabei … 
Renars: Glücklicherweise! Denn so waren wir bestens für die Crunchtime vorbereitet. Natürlich war das nicht geplant, dass die Franzosen nach unserer deutlichen Führung noch so nah wieder rankommen. Aber solche Situationen sind das beste Training für die mentale Reife. Ab der K.-o.-Phase konnten wir sehr konsequent unser Spiel durchziehen, haben viel gewechselt, in vielen Konstellationen gespielt und so die Kräfte geschont. Ab dem Viertelfinale war dann die stärkste Aufstellung auf dem Parkett und der Rest ist Geschichte.

Das deutsche Team ist ungeschlagen Weltmeister geworden – herzlichen Glückwunsch! 
Renars: Ja, aber es waren auch große Kämpfe dabei, auch wenn man es anhand der Endergebnisse nicht immer unbedingt gesehen hat. Es war schon eine sehr intensive Zeit.

Hat Sie ein Gegner überrascht?
Renars: Wir hatten eine sehr exotische Vorrunde, ein Team wie Libyen spielt keinen Handball, auf den man sich im Vorfeld einstellen könnte. Solche Gegner sind nicht immer angenehm. Überrascht hat mich allerdings hauptsächlich Frankreich, weil wir das Team bisher immer ganz gut im Griff hatten. Diesmal war es knapp.

Für Deutschland startete die Weltmeisterschaft in Hannover, dann zog das Team weiter nach Magdeburg. Beide Hallen kennen Sie ja bestens.
Renars: Für mich war es im doppelten Sinne eine Heim-WM. In Hannover haben Justus Fischer und ich einen Extra-Beifall bekommen, wir sahen auch viele bekannte Gesichter und etliche Fans im Recken-Trikot. In Magdeburg waren mehrere Freunde von mir in der Halle, und am spielfreien Tag habe ich auch ein paar von denen zum Kaffee getroffen.

Ist es ein Vorteil, sich in den Hallen gut auszukennen?
Renars: Ich habe mich einfach sehr wohl gefühlt. Du kennst die Stadt, du kennst die Halle, du kennst die Ordner, da hast du ein positives Mindset von Anfang an. Du kannst sorglos spielen, alle sind um dich, alle kennen dich. Das gibt dir gleichzeitig Sicherheit und Vorfreude.

Und wie war die Atmosphäre in Berlin?
Renars: In Berlin habe ich bereits mit den Recken gespielt und das war schon gut. Doch was die Fans jetzt dort ab dem Viertelfinale mit uns zusammen abgerissen haben, war einfach einzigartig.

Im Fernsehen haben das Finalspiel gegen Ungarn über eine Million Menschen verfolgt.
Renars: Das muss man sich auch erstmal bewusst machen, wie viele uns zugeschaut haben. Ich denke, wir haben das mit unserem Spiel auch verdient. Es war auch ein wichtiges Ziel von uns, so viele Menschen wie möglich für den Handballsport zu begeistern. Als das Finalspiel dann ausverkauft war, wussten wir, dass wir dieses Vorhaben schon mal geschafft haben. Hätten wir den Titel am Ende nicht geholt, wäre diese WM so dennoch ein Erfolg gewesen. Wir hatten zwei richtig gute Wochen – mit dem Pott haben wir jetzt auch die Kirsche.

 „Es war auch ein wichtiges Ziel von uns, so viele Menschen wie möglich für den Handballsport zu begeistern.“

Wie viele Nachrichten haben Sie im Anschluss bekommen?
Renars: Sehr, sehr viele. Die Zahl ist gut dreistellig. Bis heute habe ich es nicht geschafft, alle ausführlich zu beantworten.

Und wie war die Party?
Renars: Sie war dem Anlass entsprechend. Wir haben bis spät in die Nacht in der Berliner Kultbar Muschiobermaier gefeiert. Ich habe mich durch die Cocktailkarte probiert, wenn man Weltmeister wird, darf man das (lacht).

Und dann konnten Sie endlich in den Urlaub. Wo waren Sie?
Renars: Mit einem Kumpel bin ich für eine Woche in die Türkei geflogen, und dann war ich noch in Lettland, um die Familie zu besuchen.

Eine Turbo-Erholung.
Renars: Ja, das kann man sagen. Das ist auch der Grund, warum so viele Nachrichten unbeantwortet geblieben sind. Irgendwann willst du das Handy auch nur noch weglegen.

Aber Presseberichte haben Sie bestimmt gelesen. Wie lautet Ihre Lieblingsschlagzeile?
Renars: Schmunzeln musste ich über einen Artikel, dass man jetzt die U 21-Weltmeister sofort zur A-Nationalmannschaft holen soll. Klar, die Idee ist gut, aber man muss einen Juniorentitel schon realistisch sehen und beurteilen. Wenn du in der Abwehr stehst, merkst du den Unterschied vielleicht nicht so, im Angriff allerdings ist er gravierend. Die Qualität der A-Nationalmannschaften ist einfach noch sehr viel höher.

Wenn das Weltmeisterteam in der Bundesliga an den Start gehen würde, welchen Platz könnte es am Ende der Saison belegen?
Renars: In der Bundesliga würden wir im Keller mitspielen. Wir sind von der Qualität her nicht schlecht, aber da geht es darum, über 60 Minuten konstant zu spielen und clever genug zu sein. Mit 21 Jahren kann man schon sehr gut sein, aber jeder von uns braucht in der Bundesliga erfahrene Leute um sich herum.

Sie kommen aus einer Handballfamilie. Wie froh waren Ihre Eltern, als sie rausgefunden haben, dass ihr Kind ein Linkshänder ist?
Renars: Ich kann mich noch an die mahnenden Worte meiner Oma erinnern, dass ich die Gabel bitte in die rechte Hand nehmen soll. Die Freude hielt sich also zunächst in Grenzen. Ich bin übrigens der einzige Linkshänder in der Familie. Es ist kein Kompliment. Aber man sagt ja, dass Linkshänder eine Klasse höher spielen können, als ihr Niveau mit rechts wäre. Das hat auch für mich mal Türen geöffnet.

Wann genau?
Renars: Als ich für ein halbes Jahr aus Magdeburg, von der zweiten Mannschaft, zum Bergischen HC ausgeliehen wurde. Da konnte ich mit 18 Jahren Bundesligaluft schnuppern, bevor ich ein Jahr später meinen ersten Profivertrag in Hannover unterschrieben
habe.

Insgesamt sieben Jahre waren Sie in der Talentschmiede vom SC Magdeburg. Wie sehr haben Sie diese Jahre geprägt?
Renars: Die Nachwuchsarbeit beim SCM ist wirklich top. Auch wenn die Talente nicht so viel mit dem Profiteam zu tun haben: Ich hatte gute Trainer, die mir viel beigebracht und mitgegeben haben..

Es heißt, Deutschland hat viele Talente, nur den Sprung in die Bundesliga schaffen wenige. Worauf kommt es an?
Renars: Die jungen Spieler muss man einfach ins kalte Wasser schmeißen und sie daraus lernen lassen. Erfahrung und Konstanz kommen mit der Zeit. Du musst sie aber vorher auch Fehler machen lassen und das ist das Problem. Die Teams in der Bundesliga kämpfen hart um Punkte, um Platzierungen, da ist keine Zeit für Experimente. Auf den Außenpositionen bekommen deutsche Talente noch ab und zu ihre Chance, das Problem haben hauptsächlich junge Rückraumspieler. Auf dieser Position kannst du auch mal in vier Angriffen viermal den Ball verlieren, und das ist wohl zu risikoreich.

Sie sind während der Magdeburger Zeit zum Profi gereift. War es wichtig, woanders hinzugehen?
Renars: Es war für mich persönlich gut, aus Magdeburg rauszukommen und ein anderes Umfeld kennenzulernen. Ich konnte so trotz meines jungen Alters schon unter Bennet Wiegert wie auch mit Sebastian Hinze und Christian Prokop trainieren.

Apropos: junger Spieler. Müssen Sie als Weltmeister in Hannover noch die Bälle schleppen?
Renars: Diese Hierarchien haben wir bei uns gar nicht. Ich bin beispielsweise für das Wasser beim Krafttraining zuständig.

„Die jungen Spieler muss man einfach ins kalte Wasser schmeißen und sie daraus lernen lassen.“

Was wäre Ihr Traum-Amt in der Mannschaft?
Renars: Eventwart fände ich ganz cool. Aber als Wasserwart bin ich auch nicht unzufrieden. Ich muss ja nur einen Kasten in den Kofferraum schmeißen und zum Krafttraining fahren. Es ist ganz okay.

Spielt das Alter in Hannover im Team keine Rolle?
Renars: Auf dem Handballfeld nicht. Wenn du die Qualität hast, dann sollst du auch vorangehen. Egal, ob du 21 oder 31 Jahre alt bist. Christian Prokop will auch, dass ich in den kommenden Jahren die nächsten Steps mache. Und dabei soll ich auch meinen Mund aufmachen und darf auch mal meine Meinung sagen.

Wie ist denn Ihre Meinung dazu, dass die U 21-Nationalmannschaft keinerlei Prämie für den Titel des Weltmeisters bekommt?
Renars: Wir kennen es ja nicht anders. Als wir die EM in Kroatien gewonnen haben, gab es auch nichts. Es ist aber in Ordnung, unsere Sportart macht Bodenständigkeit einfach aus. Über irgendeine Anerkennung, nicht unbedingt im materiellen Sinne, hätten wir uns allerdings gefreut. Ich habe aber auch gelesen, dass die jungen Fußballer 25.000 oder sogar 35.000 Euro für einen Titel bekommen.

Was hätten Sie mit so viel Geld gemacht?
Renars: Ich hätte wahrscheinlich eine Wohnung angezahlt.

Sie waren fünf Jahre lang Kapitän der deutschen U 21-Nationalmannschaft, haben aber auch lettische Wurzeln. Wieso hat Handball ein Migrationsproblem?
Renars: Deutschland ist ein Handball-Land. Menschen, die nach Deutschland kommen, spielen aber in ihren Ländern wahrscheinlich hauptsächlich Fußball. Und das bleibt auch so, auch wenn jemand hier lebt.

Mit welchem Argument würden Sie jemanden aus der Türkei oder aus Portugal vom Handballsport überzeugen?
Renars: Jeder, der zu uns nach Hannover kommt und auf der Tribüne die Intensität, die Spannung und die Dynamik von einem Spiel erlebt, ist begeistert. Wenn du Menschen mit in die Halle nimmst, springt der Funke fast immer über. Die U 21-Fußballer
sind in der EM-Vorrunde rausgeflogen, es gab großen Unmut und alle haben sich beschwert. Dann kommen wir als Handballer und beweisen das Gegenteil. Wir gewinnen die Weltmeisterschaft und begeistern die Menschen. In Hannover sollen in der letzten Saison viele Fans von den Fußballern enttäuscht gewesen sein. Die Recken wiederum machen die Halle voll, sorgen für Spannung und überzeugen mit ihrem Spiel. Viele Familien haben sich dann lieber für Handball entschieden, bei uns haben sie einfach mehr Spaß.

In der kommenden Saison spielt Ihr Verein sogar europäisch. Wie sehr freuen Sie sich darauf?
Renars: Ich finde das fantastisch, auch wenn wir zunächst eine Quali-Runde überstehen müssen. Wenn wir das schaffen, bereisen wir die europäischen Hallen, und das wird mit Sicherheit eine unglaubliche Erfahrung sein. Anstatt in 34 Spielen in der Liga müssen wir dann jetzt in ca. 55 Begegnungen unser Bestes geben. Mehr Spiele bedeuten natürlich auch kürzere Regenerationszeiten – das ist ein neues Level.

Der kurze Sommer war die beste Vorbereitung darauf.
Renars: Das stimmt.

Die U 21-Mannschaft ist jetzt Geschichte. Macht Sie das traurig?
Renars: Ein bisschen schon. Ich durfte immerhin fünf Jahre lang auch die Kapitänsbinde dieser Mannschaft tragen und das war schon eine riesige Ehre. Auf der anderen Seite ist das ja auch gut, dass jetzt, mit 21 Jahren, der nächste Step kommt.

Der Schritt zum A-Kader?
Renars: Genau. Wenn man mit der Nationalmannschaft erfolgreich sein will, dann ist jetzt die Zeit, sich mit guter Leistung, vollem Fokus auf die Bundesliga und mehr Verantwortung im Verein auch dem Bundestrainer zu empfehlen.

Es werden ja aktuell gerade mehr junge Spieler für den A-Kader gefordert.
Renars: Es ist sicherlich der richtige Ansatz. Wir haben ja auch viele junge Spieler mit Potenzial. Die Auffassung des DHB ist sicherlich verständlich, bei einer Heim-EM den maximalen Erfolg mit dem stärksten Kader erzielen zu wollen. Auf der anderen Seite fragt man sich: Wann will man die jungen Leute einbinden? Nach der EM stehen die Olympia-Quali an und dann die Olympischen Sommerspiele. Man muss schon Mut haben.

Was wäre ein guter Kompromiss?
Renars: Man kann junge Handballer beispielsweise als 17. Spieler mitnehmen. So erlebt man die Hallen und erfährt, wie der Bundestrainer tickt. Talente einzubinden ist sicherlich eine schwierige Aufgabe, doch gleichzeitig eine unerlässliche, wenn man einen nachhaltigen Umbruch plant.

Sind Sie bei der Heim-EM 2024 dabei?
Renars: Bestimmt. Wenn ich als Spieler noch nicht die Chance bekomme, dann komme ich als Zuschauer. Die EURO auf dem Handballfeld zu erleben, wäre natürlich viel schöner.