Xenia Smits Seitenportrait

Xenia Smits

Unser Ehrgeiz ist geweckt!

aus der Handball Inside #47

07.November 2022

Ein Gespräch mit Xenia Smits über ihren Club, die deutsche Nationalmannschaft und das Gefühl einer perfekten Saison. 

Welches Spiel war das letzte, bei dem sich die SG BBM Bietigheim geschlagen geben musste?
Xenia Smits: Mit dem Club haben wir glücklicherweise seit dem Frühjahr 2021 nicht mehr verloren, damals mussten wir die Punkte in Dortmund abgeben.

Ist für Bietigheim die Möglichkeit einer Niederlage überhaupt noch eine Option? 
Smits: Wir sprechen schon darüber, was passieren kann, wenn wir nicht unser Bestes geben. Nur weil wir 60 Mal gewonnen haben, sind wir längst nicht unsterblich. Wenn wir nicht hochkonzentriert bei der Sache sind, wenn wir unseren Ehrgeiz und Willen, alles gewinnen zu wollen, nicht pflegen, kann es schnell passieren, dass wir wichtige Punkte abgeben müssen.

Wie sieht Ehrgeiz-Pflege in der Praxis aus? 
Smits: Wir sind mit taffen Champions League-Spielen gestartet und zwischendurch mussten wir in der Liga ran. Spiele, die sich weniger eng gestalten, wollen wir nicht nur einfach abhaken. Diese Matches nutzen wir dann auch dafür, Neues auf dem Spielfeld auszuprobieren. So bringt uns jedes Spiel weiter, egal ob wir knapp oder mit 15 Toren Unterschied gewinnen.

Kann sich ihr Team an irgendeinem Punkt noch verbessern?
Smits: Wo wir noch etwas mehr Potential entfalten könnten, wäre einfach immer Spaß zu haben. Mit Lust und Laune zu überzeugen, auch wenn es ein relativ einfaches Spiel ist.

In der vergangenen Saison zeigte Bietigheim keine Schwäche und gewann einfach alles. Wie denken Sie an den Monat Mai 2022 zurück?
Smits: Wir haben sehr viel gefeiert (lacht). Es war aber verdient und nicht zu früh! Nach dem EHF-Cup wurden wir dann auch offiziell und feierlich zum Meister gekürt und ganz zum Schluss holten wir noch den DHB-Pokal. Dass es zur Meisterschaft reicht und wir in der kommenden Saison in der EHF Champions League spielen werden, wussten wir schon vor der Reise zu den EHF Finals. Die Gewissheit, dass wir bereits ein großes Ziel erreicht hatten, auf das wir konzentriert und hart die ganze Saison hingearbeitet hatten und uns das nicht mehr genommen werden konnte, hat uns die nötige Leichtigkeit für das Wochenende in Viborg gegeben. Die Laune drohte allerdings kurz zu kippen, als das Halbfinale der European League dann eine richtig knappe Kiste wurde. Doch der Zittersieg gegen Herning hat uns regelrecht aufgerüttelt. Ab dann gab es nur noch Vollgas, so hatte Gastgeber Viborg im Finale einfach keine Chance. Es war ein unvergesslicher Sieg, worauf ein legendärer Abend folgte.

Woher hatten Sie noch genug Puste und Motivation für das DHB Pokal-Final Four in Stuttgart?
Smits: Den DHB-Pokal wollten wir unbedingt. Wenn du so eine Saison spielst, kannst du dich von deinem Team, den Fans und den Sponsoren unmöglich mit einer Niederlage in den Sommer verabschieden. Wir wollten einen absolut geilen Abschluss – ganz ohne Abstriche. Und genau das haben wir auch geschafft. Die letzten Wochen der vergangenen Saison waren ein einziges Highlight meines Lebens.

„Mit Lust und Laune zu überzeugen, auch wenn es ein relativ einfaches Spiel ist.“

Welche Party war die beste? 
Smits: Überragend war der Abend in Viborg. Meistens sind die ungeplanten Feiern doch am besten.

Die dänische Kleinstadt Viborg ist keine Partyhochburg. Wie haben Sie dort nach 20 Uhr überhaupt noch eine passende Location gefunden? 
Smits: Auch das war lustig. Erst waren wir noch lange in der Halle und genossen diesen unerwarteten Titel mit den mitgereisten Fans. Für den Abend wurde ja nichts geplant, umso schöner war das spontane Miteinander, ganz ohne Termine oder feste Abfahrtszeiten.

Waren viele Bietigheim-Anhänger dabei?
Smits: Es sind schon einige mitgefahren. Auf jeden Fall haben wir unseren Fanblock die ganze Zeit gut auf dem Spielfeld gehört. Auch meine Mama saß auf der Tribüne. Wenn sie losschreit, höre ich ihre Stimme immer, egal wie voll und wie laut es in einer Halle ist!

Wie verlief der Abend in Viborg weiter? 
Smits: Aus der Halle sind wir ins Hotel, wo unser Team gemütlich beim Abendessen zusammensaß. Doch der Tag sollte noch nicht vorbei sein und bei der weiteren Organisation gab es kundige Unterstützung. Zunächst wurden wir allerdings in eine Bar geschickt, die bei unserer Ankunft gegen 21 Uhr gerade schließen wollte. Dort bekamen wir einen Tipp und eine neue Adresse. Gutgelaunt zogen wir weiter und im Endeffekt verbrachten wir den späteren Abend in einer Dorfkneipe, wo wir uns unter Fußballfans mischten. Es war alles einfach nur lustig.

Sie sprechen oft über das „Handball-Feeling“, wozu ja auch die Atmosphäre zählt. War es wichtig, diese Wahnsinn-Saison vor Publikum zu absolvieren?
Smits: Der Rückkehr der Zuschauer hat schon eine wichtige Rolle gespielt. Lang genug haben wir uns gegenseitig vermisst. Das Handball-Feeling ist nicht einfach zu beschreiben, doch die eigene Freude und die Begeisterung auf der Tribüne multiplizieren sich in einer vollen Halle zu einem großartigen Gefühl. Es müssen nicht mal alle für unsere Mannschaft sein (lacht). Gemeinsam den Sport Handball abzufeiern, ist immer ein fantastisches Erlebnis.

Neben all dem Teamerfolg konnten Sie auch eine persönliche Auszeichnung entgegennehmen, Sie wurden zur MVP der EHF Finals gewählt. 
Smits: Das war nur die Kirsche auf der Sahnetorte, eine große Extra-Anerkennung. Doch keinen der Teamerfolge würde ich für so eine persönliche Auszeichnung hergeben.

Welchen Stellenwert hat der erste internationale Titel für die Region rund um Bietigheim?
Smits: Es ist ein Riesending, die Wertschätzung ist spürbar und inzwischen sind noch mehr Menschen auf uns Handballerinnen aufmerksam geworden. Doch die Begeisterung, die beispielsweise die Frankfurter Fußballer mit dem gleichen europäischen Titel entflammen konnten, so dass die komplette Stadt ausrastet und feiert, das haben wir hier so noch nicht erlebt.

Mit welchen Gefühlen haben Sie Richtung Frankfurt geschaut?
Smits: Mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wenn ich ehrlich bin. Ich konnte mich in die Spieler hineinversetzen und freute mich für das Team aus ganzem Herzen. Auch in Magdeburg sind Wahnsinns-Bilder bei der Meisterfeier entstanden. Das hätten wir auch gerne genauso in Bietigheim, irgendwann. Als wir mit dem internationalen Titel zuhause angekommen sind, warteten auf uns lediglich eine Handvoll Leute. Aber vielleicht ist es so ein Männer-Frauen-Ding.

Bei den Fußballerinnen gab es durchaus einen großen Hype. 
Smits: Ja, ich möchte dennoch nicht die Sportart wechseln (lacht). Mir geht es lediglich um die Anerkennung, schließlich erwartet auch jeder von uns, dass wir Leistung bringen. Die übertriebenen Verhältnisse, wie im Fußball, also das komplette Paket, wünsche ich mir allerdings auch nicht.

„Doch keinen der Teamerfolge würde ich für so eine persönliche Auszeichnung hergeben.“

Sollte Bietigheim nächstes Jahr die EHF Champions League gewinnen, welchen Empfang würden Sie sich wünschen?
Smits: Wenn wir diesen Titel holen, ist mir der Empfang sowas von egal!

In Budapest kann man auch gut in Kneipen feiern …
Smits: Da bin ich mir sicher. Allerdings ist es kein leichter Weg vom Gewinn des EHF Finals zum FINAL4 in Budapest. Wenn wir während des Wettbewerbs merken, dass da was geht, werden wir natürlich alles für den großen Erfolg geben. Deswegen sind wir Leistungssportler.

Internationale Begegnungen produzieren oft auch skurrile Geschichten. Was ist ihre Lieblingsanekdote?
Smits: Mit Metz mussten wir mal nach Rostow. Als wir in Moskau umsteigen wollten, wurden wir vor der Passkontrolle mit komplett neuen Bordkarten und mit der Mitteilung abgefangen, dass wir unseren Anschlussflug nicht erreichen können und wir daher eine Nacht in der russischen Hauptstadt verbringen und morgens um drei weiterfliegen sollen. Unser Gepäck war allerdings längst im Flieger, den wir ja nicht hätten erreichen können und auch die Mutter einer Mitspielerin saß in der Maschine, die nicht verstanden hat, wo wir alle bleiben.

Sie sollten also unausgeschlafen und ohne Gepäck ankommen. Das klingt nach psychologischer Kriegsführung.
Smits: So haben wir uns auch gefühlt. Doch am besten an der Geschichte war, dass wir auch Bordingpässe für Mitspielerinnen bekommen haben, die diese Reise aus Frankreich gar nicht erst angetreten sind. Trotz solcher Zwischenfälle sind Spiele der EHF Champions League immer etwas Besonderes.

Wenn eine Saison so wahnsinnig erfolgreich ist wie die letzte: Welcher Film lief in Ihrem Kopf, als Sie die vierte Trophäe innerhalb von zwölf Monaten in den Händen hielten?
Smits: Dann kommen mir schon auch mal die Tränchen in die Augen, denn in dem Moment realisiert man, dass man gerade für die ganze Arbeit, ob nach einer schwierigen Verletzung, einem Comeback oder hartem, schweißtreibenden Training, belohnt wird. Leistungssport hat auch viel mit Verzicht zu tun. Damit meine ich neben allen Anforderungen des Spielbetriebes auch das private Leben. Wir müssen wegen wichtigen Mannschaftsterminen oft bei Einladungen zu Hochzeiten, Taufen, der Familie und Freunden absagen oder fehlen manchmal selbst bei traurigen Anlässen, wie einer Beerdigung. Der Weg zu jeder Trophäe ist steinig, doch er lohnt sich – und genau das geht einem bei der Siegerehrung durch den Kopf.

Habe Sie dann im Sommer unter einer Zielerreichungsdepression gelitten? 
Smits: Ich glaube, dass niemand von uns dafür Zeit hatte (lacht). Es war ein fantastisches Gefühl, alle Saisonziele erreicht zu haben. Allerdings wussten wir auch, dass nach vier Wochen Sonne, Sommer und kurze Erholung alles wieder von vorne losgeht.

Es ging ja jetzt fantastisch weiter! Auch in der EHF Champions League haben Sie den Gegnern mit dem 46:23 Sieg gegen Banik Most und dem 40:20 gegen Fradi regelrecht das Fürchten gelehrt. Aus Bukarest nahm Ihr Team einen Punkt mit und Titelverteidiger Vipers Kristiansand verließ Bietigheim mit einer Niederlage.
Smits: Im ersten Spiel wollten wir gerne schon mal ein Statement setzen, dass es so eindeutig wird, haben wir natürlich im Vorfeld nicht erwartet. Danach wussten wir allerdings, wo wir stehen. Auch wenn die Ergebnisse lockerflockig aussehen, werden wir weiter hart arbeiten müssen, wenn wir weiterkommen wollen.

„Der Weg zu jeder Trophäe ist steinig, doch er lohnt sich – und genau das geht einem bei der Siegerehrung durch den Kopf.“

Die Mannschaft ist 2022 wortwörtlich im Olymp angekommen. Kann man das noch toppen?
Smits: Wir kennen natürlich die Zusammenfassung der Statistiken aus der letzten Saison. Dabei geht es um Tordifferenz, Anzahl der technischen Fehler, Gegenstoßtore …  Man kann sicherlich alles noch toppen, die Frage ist sicherlich, ob man alles unbedingt übertreffen muss. Wir können uns Jahr für Jahr immer ehrgeizigere Ziele setzen, doch ich denke, wenn wir in der aktuellen Saison wieder alle Spiele mit 13 Toren plus gewinnen, dann wäre das auch völlig okay für uns alle. Man sieht uns in der Pflicht, alles zu wiederholen. Ob eine perfekte Saison allerdings genauso zu rekapitulierten ist, werden wir sehen.

… und wenn Sie die Spiele im Durchschnitt mit nur acht Toren gewinnen?
Smits: Dann gewinnen wir ja am Ende auch die deutsche Meisterschaft.

In der Mannschaft haben Sie mit Inger Smits eine Namensvetterin. Führt das nicht zu Verwirrungen?
Smits: Ich höre manchmal nach dem Spiel Kommentare, wie: Das ist ja schön, dass Du jetzt mit deiner Schwester spielst. Dass Inger Holländerin ist und dass wir im selben Jahr mit nur ein paar Monaten Unterschied geboren sind, scheint dabei nicht zu stören (lacht). Wir nehmen das immer sehr locker. Dadurch, dass wir uns in der Abwehr und Angriff abwechseln, sagen wir oft, die Kommentatoren sollen einfach „Smits auf Halb“ sagen und dann passt es schon.

Ihre tatsächliche Schwester Munia spielt in Neckarsulm Handball. 
Smits: Das finde ich fantastisch, denn so oft wie jetzt haben wir uns zuletzt in der Kindheit gesehen. Die 40 Kilometer sind ein Katzensprung. Munia hat einen Schlüssel zu unserer Wohnung, sie kommt und geht, wie sie möchte.

Munia hat inzwischen auch den deutschen Pass. Vielleicht spielen Sie später mal in der deutschen Nationalmannschaft zusammen?
Smits: Wenn sich die Möglichkeit ergibt, wäre es natürlich toll.

Apropos Nationalmannschaft: Welche Wirkung haben die aktuellen Negativschlagzeilen aus Dortmund auf das DHB-Team? 
Smits: Das Thema wurde am ersten Tag des letzten Lehrgangs in großer Runde angesprochen und diskutiert. Danach galt unser Fokus allerdings dem Handball. Uns war klar, dass wir bei den Länderspielen eine geschlossene Mannschaftsleistung brauchen, um die sportliche Herausforderung zu meistern.

Bei der EURO 2020 war Pandemie-bedingt die Gesundheit aller Beteiligten im Fokus. Was ist diesmal die größte Herausforderung für die deutsche Nationalmannschaft?
Smits: Gesund wollen wir auch bei dieser Europameisterschaft bleiben. Doch die spannendste Aufgabe hat mit dem Trainerwechsel zu tun. Emmy Bölk beispielsweise hat Markus Gaugisch bisher bei einem einzigen Lehrgang erlebt. Es wird spannend sein zu beobachten, wie die Erwartungen des Trainers sind und wie gut wir seine Vorstellungen in kürzester Zeit umsetzen können. Einige Spielerinnen aus Bietigheim sind dabei, die Markus als Trainer bereits bestens kennen, doch wie abweichend seine Vorstellungen in der Nationalmannschaft mit uns auf dem Spielfeld sind, wissen wir auch nicht genau.

Kann man überhaupt orakeln, wie weit das deutsche Team bei der EURO 2022 kommt?
Smits: Man kann immer die individuelle Qualität der Teams vergleichen und da schätze ich uns schon als stark ein. Außerdem wird Markus auch nicht alles auf den Kopf stellen. Meiner Meinung nach kann die Situation in beide Richtungen ausschlagen. Viel neuer Input kann unser Team komplett verwirren, aber auch absolut beflügeln. Ich hoffe auf den positiven frischen Wind!

Im letzten Lehrgang ging es gegen Frankreich. Was nehmen Sie aus den zwei taffen Spielen mit?
Smits: Die Vorstellungen des Trainers wurden allen Beteiligten klar und wir konnten gut an der Umsetzung arbeiten. Auch das Emotionale nehmen wir mit, unsere breite Brust und wie wir bei den zwei Spielen gegen Frankreich Vollgas gegeben haben. Schlecht haben wir uns nicht verkauft, auswärts gegen den Olympiasieger mit nur einem Tor zu verlieren, ist ganz okay. Nach meinem Gefühl haben wir bei dem Lehrgang schon mal wichtige Ziele für die nächsten Jahre abgesteckt und eins steht fest: Unser Ehrgeiz ist geweckt!